Buddhistische Jesusbilder

Zeitgenössische Beispiele
einer buddhistischen Hermeneutik des Christentums [1]

Andreas Grünschloß

1. Einleitung

Der Buddhismus gilt in vielen westlich-abendländischen und "orientalistischen" Diskursen geradezu als Inbegriff einer toleranten und besonders friedfertigen Religion. Blickt man jedoch genauer auf die traditionsbildenden Grundüberlieferungen der frühbuddhistischen Gemeinde, dann zeigt sich das Bild einer äußerst selbstbewussten jungen Religionsgemeinschaft [2]. Gerade im interreligiösen Horizont werden im Pâli-Kanon unmissverständliche Überlegenheitsansprüche [3] gegenüber konkurrierenden Heilslehren geäußert, die an Deutlichkeit und Schärfe nichts zu wünschen übrig lassen - bis hin zur Verspottung der alten indischen Götter und der traditionellen brahmanischen Religiosität: In geradezu stereotyper Weise werden Brahmanen und Wanderasketen anderen Glaubens so dargestellt, als hingen sie nur heillosen Lehren und Praktiken an, die weiter in den Geburtenkreislauf verstricken, oder zeitgenössische Religionsführer werden als Paradebeispiele einer ignoranten, von Blindheit, Gier und Selbstbezogenheit gezeichneten und daher gänzlich abwegigen religiösen Haltung und Lehre vorgeführt [4].

Neben dem "einzigen Weg" [5], dem dhamma (Sanskrit dharma), der Lehre des Buddha, verblassen alle anderen Heilslehren als irrelevant; bestenfalls haben sie hie und da ein paar lächerliche Teilaspekte der allumfassenden Wahrheit erfasst [6]. Aber wenn in einer religiösen Lehre und Praxis der "edle achtfache Pfad", wie er vom Buddha gelehrt wurde, nicht vorkommt, dann kann es in dieser Religionsgemeinschaft auch kein letztlich erfolgreiches religiöses Erlösungsstreben geben, lautet eine Auskunft im Mahâparinibbânasutta [7]: Dieser Mangel herrscht also überall, außer im buddhistischen Sangha, der Nachfolgegemeinschaft des Buddha.

Extra sangham nulla salus, "außerhalb der buddhistischen Mönchsgemeinde gibt es letztlich kein Heil" - in dieser klassischen Form eines exklusiven Geltungsanspruchs lässt sich dieses soteriologische Bewusstsein des frühen Buddhismus zusammenfassend zuspitzen [8]. Allerdings wissen wir heute nicht mit Bestimmtheit, inwieweit diese Haltung gegenüber religiös Anderen und Fremden auch in jeder Hinsicht auf den historischen Buddha selbst zutraf, denn seine konkrete geschichtliche Gestalt verblasst nahezu völlig hinter den Gemeindebildungen des überlieferten Kanons.

Welche Haltung nehmen heutige Buddhisten gegenüber anderen Religionen, gegenüber dem religiös Fremden und speziell im Blick auf das Christentum ein? - Der systematische Theologe Horst G. Pöhlmann berichtet aus seinem Gespräch mit einem ceylonesischen Buddhisten (Bhikkhu Nandana Vanse aus Colombo/Sri Lanka) [9]:

"Ich fragte meinen Gesprächspartner: Wie stehst Du zu anderen Religionen? Die Antwort war: 'Es gibt viele Religionen, weil es viele Menschen gibt. Alle hoffen auf das Nirvana und alle sind auf verschiedenen Wegen unterwegs zu diesem einen Ziel. Buddha wandte sich bekanntlich gegen orthodoxe Brahmanen, die die Meinung verfochten: Dies ist die einzige Wahrheit und alles andere ist falsch. Er meinte, jeder habe seine eigene Wahrheit. Es gäbe keine allgemeingültige Wahrheit. Er sagte zu den Menschen, sie sollen von den religiösen Traditionen und Texten die aufgeben, die ungesund und schlecht sind, und nur die akzeptieren, die gesund und gut sind. Ein Glaube ist nur gut, wenn er für mich gut ist.'"

Der klassische Pâli-Text, auf den Pöhlmanns Gesprächspartner hier gegen Ende anspielt, steht im Anguttara-Nikâya III.66 [10]. Angehörige des Ritteradels aus der Stadt Kesaputta fragen den Buddha um Rat, weil immer wieder unterschiedliche "Wanderasketen und Brahmanen" (samanabrâhmanâ) in die Stadt kommen und jeweils "bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen lassen, den Glauben anderer aber beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen"; wo liege denn da die Wahrheit? - Der Buddha antwortet darauf in seiner sog. "Rede an die Kâlâmer":

"Geht, Kâlâmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters!"

Nach der Destruktion dieser üblichen Autoritäten verweist der Buddha dagegen auf die folgenden Prinzipien interreligiöser Hermeneutik:

"Wenn ihr aber, Kâlâmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden', dann o Kâlâmer, möget ihr sie aufgeben."

Was Unheil und Leiden bedeutet, wird sogleich an den drei buddhistischen Erz-Untugenden oder unheilvollen "Wurzeln" (mûla) - "Gier", "Hass" und "Verblendung" - genauer konkretisiert (bzw. nachfolgend auch noch einmal umgekehrt an ihrem positiven Gegenteil: Gierlosigkeit, Freiheit von Hass und Verblendung) [11]. Es entspricht dem soteriologischen Pragmatismus des Buddha, dass er die Vermeidung bzw. Überwindung der drei Grundübel als kritisches Prinzip für jedwede Rede von Wahrheit und Glaube einführt. Und jeder einzelne Mensch ist selbst die Instanz dieser Prüfung - ganz in Entsprechung zum so genannten "Vermächtnis" des Buddha kurz vor seinem Tod: Ihr selbst und der dhamma, dies allein sei euch Leuchte und Zuflucht! [12]

Der dhamma und seine existentielle Aneignung und Realisierung ist folglich das entscheidende Instrument für die kritische Sichtung andersreligiöser Lehren. Allerdings sei nochmals betont, dass der frühe Buddhismus nach dem Zeugnis des Pâli-Kanons selbst vielfach jene einseitige Negativhermeneutik gegenüber fremden Glaubensäußerungen entfaltet hat (bis hin zu Spott und beißender Ironie), die in dieser Rede an die Kâlâmer als typisch für die "Anderen" und als falsch dargestellt wird [13]. Das Interesse am Christentum und speziell an Jesus [14] erschien auf Seiten des Buddhismus religionshistorisch bis in die jüngere Zeit noch recht gering - im Gegensatz zur exotischen Faszination, die dem Buddha und dem Buddhismus insgesamt im Westen, nicht zuletzt im Gefolge der Wirkungsgeschichte von Helena P. Blavatsky und der Theosophie, entgegengebracht wird [15].

Dennoch ist es kein Wunder, dass sich heutige Buddhisten im Zusammenhang der Bemühungen um interreligiöse Verständigung häufig auf diese Textstelle beziehen - und eben nicht auf die massiver distanzierenden Verhältnisbestimmungen in der Mehrheit anderer Überlieferungen [16]. Und oft ist es dann tatsächlich wieder die "pragmatische" Konzentration des buddhistischen Heilsverständnisses (inklusive der Konstruktion entsprechender anthropologischer Grundübel), die als Maßstab fremden - bzw. überhaupt jeden - Glaubens angelegt wird: Gelingt die Überwindung oder bleibt es bei der Nichtüberwindung der urbuddhistischen Untugenden Gier, Hass und Verblendung? Hilft ein religiöser Weg aus der durch diese Grundübel bewirkten Verhaftung im Kreislauf von Tod und Wiedergeburt weiter heraus oder nicht? Kann er folglich "Leiden" (dukkha) vermindern?

Meine Frage für die folgenden Ausführungen lautet daher: Wie eignen sich zeitgenössische buddhistische Autorinnen und Autoren die Person und Lehre Jesu im Kontext einer dialogischen Begegnung zwischen christlicher und buddhistischer Spiritualität an?

Ich formuliere bewusst so, denn die Beispiele, denen ich mich zuwenden werde, entstammen allesamt mehr oder weniger der 'meditativen Erbauungsliteratur', die sich von buddhistischer Seite vor allem an westliche Meditationspraktizierende oder Spiritualitätssuchende christlicher Herkunft wendet. Mich interessiert hierbei, wie die biblischen Überlieferungen und die Gestalt Jesu im Kontext dieser Diskurse von Buddhist(inn)en wahrgenommen, 'an-ge-eignet' und rekonstruiert werden. Welche buddhistischen "Jesus-Bilder" oder "Christentums-Bilder" entstehen hier? [17]

Die Gattung der religiösen Erbauungsliteratur birgt freilich die Schwierigkeit, dass diese Texte nicht unbedingt von strenger analytischer Klarheit geprägt sind, die Aussagen erscheinen vielmehr größtenteils in 'weichere', meditativ-spirituelle Kommentare gehüllt. Häufige illustrative Zitate lassen sich daher nicht vermeiden.

Ich beschränke mich auf vier Autor(inn)en mit ihren jeweils einschlägigen Publikationen [18] zum Thema, die auch im deutschen Kontext (in Übersetzungen) wahrgenommen werden:

- Ayya Khema, deutsche buddhistische "Nonne" (1923-1997)

- Thich Nhat Hanh, vietnamesischer Zen-Lehrer in Frankreich (geb. 1926)

- den Dalai Lama, das Exil-Oberhaupt Tibets (geb. 1935; 1989 Friedensnobelpreis)

- Kenneth Leong, Banker und Zen-Lehrer aus Rye/New York (geb. 1953 in Hongkong)

Eine exakte Diskursanalyse zu den vier Positionen kann allerdings nicht geleistet werden, da hierfür eine genaue Sichtung des jeweiligen biographisch-werkgeschichtlichen Zusammenhangs sowie eine Verortung im Kontext der jeweiligen buddhistischen Traditionen vorgenommen werden müsste.

2. Ayya Khema: Die Praxis liebender Güte als gemeinsamer Grund der Religionen

Zwei Mitte der neunziger Jahre entstandene und inhaltlich zusammengehörige Bücher aus der Hand dieser bekannten buddhistischen "Nonne", die sich zuletzt auch in Deutschland im buddhistisch-christlichen Dialog engagiert hat [19], befassen sich explizit mit dem christlichen Glauben: 'Das Größte ist die Liebe. Die Bergpredigt und das Hohelied der Liebe aus buddhistischer Sicht' (GidL) [20] und 'Nicht so viel denken, mehr lieben. Buddha und Jesus im Dialog' (Nsvd) [21].

In der Einleitung zu GidL (9f), analog auch im Vorwort zu Nsvd (9f), präzisiert sie ihr Erkenntnis leitendes Interesse wie folgt: Die ewigen Abgrenzungen zwischen den Religionsgemeinschaften müssten endlich überwunden werden, um "unsere Zusammengehörigkeit [zu] erkennen" und zu einer "besseren Verständigung, vor allem auf der spirituellen Ebene," zu gelangen. Mit diesem "Baustein für die Akzeptanz und Erkenntnis unserer gemeinsamen spirituellen Natur" möchte sie einen Beitrag im Dienst für den Weltfrieden leisten. GidL, auf dessen Gedankenführung ich im Folgenden besonders eingehen werde, beginnt mit 1 Kor 13, dem sog. "Hohelied der Liebe", und vergleicht diesen Text mit Lehren des Buddha, wie sie v.a. im Mettasutta [22] (Suttanipâta 1.8) [23] ausgedrückt sind. - Ayya Khema formuliert gleich hier eine ihrer zentralen Thesen: "Ich denke es ist für uns von Interesse, einmal festzustellen, daß in jeder Religion das gleiche gelehrt wird" (12, Hervorh. A.G.). Es gehe nämlich primär stets darum, "ob wir überhaupt verstehen, was zu tun ist" und ob wir "den aufgezeigten Weg auch praktizieren" (12). Die postulierte Übereinstimmung der Religionen wird folglich in der orthopraktischen Dimension gesucht.

Wenn es daher in 1 Kor 13 u.a. heißt, Großzügigkeit ohne Liebe ist "nichts" (Vers 4), dann parallelisiert Ayya Khema dies mit der Beispielgeschichte vom Brahmanen Velâma, der eine unglaubliche Zahl an Reichtümern verschenkte (u.a. 168.000 mit Silber und Gold gefüllte Gefäße), was der Buddha als weitaus weniger verdienstvoll einstufte als nur "einen flüchtigen Duft 'liebevoller Gesinnung' (mettâ) zu erwecken" (GidL 14). Eine derartige Liebe beziehe sich nicht auf einzelne Personen, sondern sie sei vielmehr ein "unpersönliches Gefühl"; und auf diese "Unpersönlichkeit" der Herzensqualität komme es an - gemäß dem Buddha: eine freundliche, sanfte und ergebene Gesinnung. Satz für Satz kommentiert Ayya Khema nun das Hohelied der Liebe und parallelisiert die dortigen Aussagen mit Zitaten aus dem buddhistischen Kanon. Die Entfaltung bedingungsloser, grenzenloser Liebe sei in beiden Religionen eine alles erschließende Grundtugend. So steht der Endvers aus 1 Kor 13,13 ("Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen") schließlich neben der Aussage des Buddha im Mettasutta: "Im Gehen oder Stehen, im Sitzen oder Liegen entfalte man eifrig die Liebe. Dies nennt man Weilen im Heiligen" (GidL 28f).

Ayya Khema unterbricht ihre vergleichenden Ausführungen mit einer praktischen Anweisung zur "Liebende-Güte-Meditation" (GidL 20-32) und geht im Anschluss daran ausführlicher auf die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5,3ff) ein (33-78). - "Selig, die arm sind im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich" erklärt Ayya Khema mit der Meditationsanleitung des Buddha, das Denken und den Geist zu leeren, eben gleichsam "arm im Geist" zu werden, das Bewusstsein auf einen Punkt zu fokussieren, damit sich Frieden (Gemütsruhe) einstelle, sowie die acht klassischen Stadien meditativer "Vertiefungen" (34f; die bekannten vier bzw. acht jhânas). Diese "höheren" Bewusstseinsebenen werden dabei in Entsprechung zu Jesu Rede vom "Himmelreich" gestellt (34, 36). - Analog wird die Aussage "Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden" mit der buddhistischen Lehre vom Leiden (dukkha) erklärt: Erst mit der Akzeptanz des allgegenwärtigen Vorhandenseins von dukkha "sind wir 'getröstet'" (38f). - Die Aussagen "Selig sind die Machtlosen, denn sie werden das Land erben" und "Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden" werden von Ayya Khema in einer deutlich spiritualisierenden Tendenz ausgelegt: Es gehe hier um die Überwindung von Angst und um die Entwicklung von sättigender Gebefreudigkeit. Sie schreibt dazu:

"Der Text der Bergpredigt besagt, daß wir sicher gesättigt werden, wenn wir unsere Gebefreudigkeit so entwickeln, daß wir ohne sie gar nicht auskommen. Das ist eine vollkommen realistische Erklärung von Ursache und Wirkung [...]. Die Gleichnisse, die Jesus benutzt hat, sind sehr realistisch. Er sprach von Hunger, Durst und Sättigung. Wir müssen nun versuchen, uns seinen Worten auf einer Ebene zu nähern, die uns spirituellen Zugang zu der Frage verschafft, wie wir innerlich erfüllt sein können, denn das ist die Bedeutung von Gesättigt-Sein. Unerfülltheit ist unser menschliches Geschick" (GidL 44f; Hervorh. A.G.).

Aus ihrer buddhistischen Perspektive interpretiert sie die "realistisch[en]" und mitunter apokalyptisch motivierten Aussagen Jesu immer wieder als spirituelle Aussagen über das Welt- und Selbstverhältnis des Menschen ("loslassen" etc.). So lautet auch ihre "Bilanz" (46f) zu den Seligpreisungen der Bergpredigt: (1) Es gehe hier um eine Übung, das Denken zugunsten von unmittelbarem Erleben aufhören zu lassen; (2) nur eine Anerkenntnis der universellen Unerfülltheit (Leidhaftigkeit) bringe Trost; (3) Machtansprüche seien zugunsten "inneren Reichtums" aufzugeben; und schließlich (4) Gebefreudigkeit, Wunschlosigkeit und Nicht-Anhaften dienten der Überwindung von Kummer und Schmerz [24].

Aus ihrer Sicht hat sich daher ihre Eingangsthese bewährt: "Es ist bedeutsam, daß alle Religionen dieselben Anweisungen geben" - nur: "Die Buddha-Lehre erklärt uns außerdem noch genaue Methoden zur Verwirklichung des inneren Wachstums" (GidL 46; Hervorh. A.G.). Buddha und Jesus hätten jedenfalls gleichermaßen "vor dem Materialismus gewarnt" und die Kultivierung innerer Qualitäten gelehrt (47).

Ein ganz wichtiger Ausspruch sei der Vers aus Mt 5,7: "Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen" (GidL 48). Es gehe hierbei um Karma, um Ursache und Wirkung: Wer barmherzig ist, erlebt auch Barmherzigkeit. "Das Gute soll überhandnehmen" (51) und die drei unheilsamen "Wurzeln" (Hass, Gier und Verblendung) [25] sollen überwunden werden. Barmherzigkeit heiße "in der Sprache Buddhas Mitgefühl" (51); wer realisiert hat, dass "Existenz Dukkha bedeutet", kann alle anderen "mit einem mitfühlenden Herzen betrachten" (54). - Der darauf folgende Vers, "Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen", beziehe sich nicht auf eine "Vision Gottes", sondern auf die "Läuterung des Herzens" und das Aufgeben der "Ichbezogenheit" - nur daraus resultiere die Erfahrung einer Transzendenz (54f). "Die Menschlichkeit in uns ist die gleiche", folgert Ayya Khema - und daher haben "die großen Religionslehrer [...] uns alle das gleiche gesagt" (55). Es geht darum, so zu leben, "daß wir schon zu Lebzeiten den Himmel auf Erden erleben können, statt uns der Hoffnung auf eine unbestimmte Zukunft hinzugeben" (59). Die Entwicklung reiner Liebe sei das Ziel: "Die Ergebnisse sind sofort spürbar, denn reine Liebe können wir 'das Göttliche' nennen" (60).

Im Zusammenhang der Aussage "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes heißen" (Mt 5,9), äußert sich Ayya Khema zum christlichen Theismus. Schon die Rede von nur einem Sohn Gottes sei "begrenzend"; aber mit der Vorstellung von einem "persönlichen Gott [...] können wir der Wahrheit nicht nahe kommen" (GidL 62): "Gott ist im Prinzip unsere wahre Natur, und jeder von uns ist Sohn oder Tochter Gottes" - wir wissen nur nicht darum [26]. Sohn oder Tochter Gottes zu sein ist daher ein "Potential in jedem Menschen" (64). Dies zu verwirklichen bedürfe der Willenskraft und bedeute viel Arbeit.

Mit Ausführungen zu Mt 5,14-16 ("Ihr seid das Licht der Welt ...") und drei weiteren kurzen Passagen aus Mt 5f beschließt Ayya Khema ihre biblischen Analysen: "Das Licht, durch den Prozeß der Läuterung während der Meditation in uns entzündet, macht es möglich, daß wir selbst lichter, heller und reiner werden, und wir ein Licht für unsere Umwelt sind" (GidL 80). Die Meditation könne dieses innere Licht entzünden. - Jesu Aufforderung zum Hinhalten der anderen Wange (Mt 5,38ff) entspräche der Aufforderung des Buddha "Durch Nichtzorn stets besieg' den Zorn" (82-85): Derartige Verweise auf Sanftmut, Verzeihen, Erdulden und Nachgeben, also auf das Nicht-Anhaften, fänden sich in nahezu allen Religionen (87). Und wenn es heißt, "Sammelt eure Schätze nicht auf der Erde ..." (Mt 6,19-21), dann bedeute dies die Verwirklichung des Schatzes auf der spirituellen Ebene. "Niemand kann zwei Herren dienen ..." (Mt 6,24) wird schließlich mit Buddhas Lehre vom "mittleren Weg" erklärt (91). - Ein weiterer Abschnitt zur "Liebende-Güte-Meditation" beschließt das Buch.

Fazit. - Ayya Khema "entdeckt" buddhistische Weisheiten in neutestamentlichen Texten wieder. Deutlich ist ihre Tendenz, die Bergpredigt als einen Leitfaden zur Entwicklung buddhistischer Grundtugenden zu lesen. Konkrete biblische Aussagen zu Gerechtigkeit, Trauer, Machtlosigkeit (u.ä.) werden hierbei spiritualisiert und mit allgemein gültigen inneren Haltungen erläutert. Der persönliche Gottesbegriff wird - als allzu vordergründig (?) - abgelehnt und auf eine innerpersonale Realität, das zu kultivierende rechte Bewusstsein, zurückgeführt. Der Unterschied zwischen Aussagen Jesu und der buddhistischen Lehre liegt für sie faktisch nur darin, dass der Buddhismus zusätzlich einen konkreten Weg zur Verwirklichung dieser - als allgemein religiös gültig postulierten - Tugenden und Ziele anzugeben weiß. Bei Ayya Khema entsteht daher auch kein konkretes Bild der Person Jesu, denn seine Aussagen reflektieren ohnehin nur buddhistische Inhalte und Ideale [27]. An keiner Stelle vermögen ihr die biblischen bzw. jesuanischen Aussagen irgendetwas 'Neues', 'Anderes' oder 'Überraschendes' mitzuteilen [28]. Es überwiegt daher der Eindruck einer inklusiven An-Eignung - sowie lehrhaft-spiritualisierenden 'Entfremdung' - biblischer Themen mit ganz buddhistischen Augen; trotz der tolerant-freundlichen Haltung handelt es sich faktisch um einen Inklusivismus im Stile eines "got the same back home, but bigger" [29].

3. Thich Nhat Hanh: Mit Jesus und Buddha als spirituellen Meistern leben

Der aus Vietnam stammende Zen-Lehrer Thich Nhat Hanh (sprich: Tick Noot Han) [30] hat in seinem Buch 'Lebendiger Buddha, lebendiger Christus' (LBLC) [31] ebenfalls ein Manifest für die gemeinsame spirituelle Quelle von Buddhismus und Christentum verfasst. Gleich zu Beginn des Buches schreibt Thich Nhat Hanh:

"Vor zwanzig Jahren nahm ich an einer Konferenz von Theologen und Religionswissenschaftlern teil, bei der ein indischer christlicher Freund in seinem Vortrag sagte: 'Wir werden jetzt von den Schönheiten verschiedener Traditionen hören, doch bedeutet dies nicht, daß wir ein Tuttifrutti zubereiten wollen.'
Als ich an der Reihe war, sagte ich: 'Tuttifrutti kann etwas Köstliches sein! Ich habe mit Pater Daniel Berrigan das Abendmahl geteilt, und unser gemeinsamer Gottesdienst wurde durch das gemeinsame Leid möglich, das wir Vietnamesen und Amerikaner viele Jahre lang erduldet haben.' Einige der anwesenden Buddhisten zeigten sich schockiert darüber, daß ich an der Eucharistiefeier teilgenommen hatte, und viele Christen schienen sogar entsetzt zu sein. Für mich aber ist religiöses Leben Leben. Ich sehe keinen Grund, warum man sein ganzes Leben lang nur eine Frucht kosten sollte. Wir Menschen können uns von den besten Werten vieler Traditionen nähren.
Hans Küng hat einmal gesagt: 'Solange es keinen Frieden zwischen den Religionen gibt, kann es keinen Frieden in der Welt geben.' Menschen töten und werden getötet, weil sie zu starr an ihren eigenen religiösen Überzeugungen und Ideologien festhalten. Wenn wir glauben, daß nur unser Glaube der wahre Glaube ist, dann sind Gewalt und Leid die unausweichliche Folge. Die zweite Regel des Order of Interbeing, der innerhalb der Tradition des Zen-Buddhismus während des Vietnamkrieges gegründet wurde, betrifft das Loslassen von Auffassungen: 'Halte das Wissen, das du gegenwärtig besitzt, nicht für die absolute, unwandelbare Wahrheit. Vermeide es, engstirnig und deinen gegenwärtigen Auffassungen verhaftet zu sein. Lerne und übe Nichtanhaften an Auffassungen, um für die Wahrnehmung anderer Standpunkte offen zu sein.' Für mich ist dies die allerwichtigste Friedenspraxis" (LBLC 25f).

Angesichts der Auswirkungen des französischen Kolonialismus und der katholischen Mission in Vietnam sei es "jedoch kein einfacher Weg" gewesen, bis er "Jesus als einen [s]einer spirituellen Vorfahren entdeckt hatte" (LBLC 28). Erst die Freundschaft mit Christinnen und Christen, "die wirklich den Geist [...] Jesu" verkörperten, habe ihn auf eine neue Begegnung mit Jesus geführt. Heute stehen in seiner Klause im französischen "Pflaumendorf" die "Bildnisse von Buddha und Jesus, und wenn ich Räucherwerk entzünde, nehme ich Kontakt mit beiden als meinen spirituellen Ahnen auf. Dies kann ich wegen jener wahren Christen, die mir begegnet sind" (30).

"Thây" (Lehrer) Thich, wie ihn seine Anhänger nennen, geht es daher um eine echte Kommunikation, um einen Dialog in der Tiefe, und als hermeneutisches Prinzip formuliert er: "Dialog ist kein Mittel der Assimilation in dem Sinne, daß sich die eine Seite ausdehnt und die andere in ihr 'Selbst' eingliedert. Der Dialog muß auf der Grundlage von 'Nicht-Selbst' geführt werden. Man muß es zulassen, daß man von dem Guten, Schönen und Bedeutungsvollen in einer anderen Tradition transformiert wird" (LBLC 33); die Praxis der Meditation sei in diesem Prozess wichtig, denn es müsse auch gewährleistet sein, "im Frieden mit sich selbst zu leben" (34).

Eine tiefe "Seinsverbundenheit" bestehe zwischen allen Dingen. Und die Spiritualität der unterschiedlichen Religionen gewähre Zugänge zur Erfahrung dieser Verbundenheit:

"Wenn man ruhig ist, tief blickt und an die Quelle seiner wirklichen Weisheit rührt, berührt man den lebendigen Buddha und den lebendigen Christus in sich selbst und allen Menschen, denen man begegnet" (LBLC 36).

Bei Thich Nhat Hanh wechseln sich Bezugnahmen auf buddhistische Traditionen und auf christliche Elemente miteinander ab, wie die folgenden Beispiele zeigen. - Liebe und Verständnis würden z.B. durch die buddhistische Grundhaltung der Achtsamkeit bewirkt - ebenso wie durch die göttliche Energie des heiligen Geistes (LBLC 37ff). Die Übung der Atmungsachtsamkeit beruhige und befriede den Menschen, man beginnt wieder zu lächeln und verweilt im gegenwärtigen Augenblick: diese Ausrichtung auf das Hier und Jetzt begründet die Fähigkeit, Frieden zu schaffen, anderen wirklich seine Gegenwart zu schenken (42f). Achtsamkeit berühre das Nirvâna, wie der Heilige Geist die Trinität eröffne (44f): Wenn die göttliche Energie uns erfüllt, sind Vater und Sohn bei uns - als Erfahrungswirklichkeit, denn: "Über Gott zu diskutieren ist nicht die beste Art, seine Energie zu nutzen. Wenn man den Heiligen Geist berührt, berührt man Gott nicht als Begriff, sondern als lebendige Wirklichkeit" (45).

Dieses Verweilen im gegenwärtigen Augenblick sei unsere wahre Heimat, Achtsamkeit und Dankbarkeit ergänzen sich (LBLC 50f). Auch Jesu Abendmahlworte sollten die Jünger eigentlich "nachdrücklich aus der Unachtsamkeit" reißen (53). So diene die Eucharistie dazu, die nahezu "toten" Menschen "wiederzuerwecken", das "Leben Christi in ihren eigenen Körper aufzunehmen. [...] Das heilige Abendmahl ist eine mächtige Glocke der Achtsamkeit" - wie schon bei Jesu letztem Mahl (54f). Ein gemeinsames Mahl in Achtsamkeit zwischen Buddhisten und Christen könne daher auch lebendige Gemeinschaft mit Buddha und dem Heiligen Geist stiften (55f).

Es wird deutlich: Thich Nhat Hanh interessiert sich nicht für den historischen Buddha der Buddhologie - denn: "Der lebendige Buddha ist nicht in Kapilavatthu geboren und starb nicht in Kushinagara" (LBLC 57). Analog sei eben der lebendige Jesus, der Sohn Gottes, das Zentrum des christlichen Glaubens: "Wenn man sich in die Leben und Lehre Jesu vertieft, kann man in die Wirklichkeit Gottes eindringen. [...] Gott gab sich uns durch Jesus Christus zu erkennen" (58). Jesu Berührung mit allen Menschen seiner Zeit ohne Ansehen der Herkunft ist für Thich Nhat Hanh entscheidend: "Für mich ist das Leben Jesu seine wichtigste Lehre" (59, Hervorh. A.G.).

Der Geist stieg in Gestalt einer Taube auf Jesus herab - Buddhas Erleuchtung wurde von wunderbaren Blüten begleitet; für Thich Nhat Hanh bedeutet dies: "Wenn wir in Kontakt mit dem höchsten Geist in uns selbst sind, sind auch wir ein Buddha, vom Heiligen Geist erfüllt, und wir werden überaus duldsam, überaus offen, überaus tief und überaus verständnisvoll" (LBLC 60). Jesus sei das "Tor" zu Gott - aber es gebe 84.000 Dharma-Tore - und noch mehr, immer weitere: "Wir dürfen keine Angst vor weiteren Dharma-Toren haben" (61). "Der Buddha braucht uns, damit sich der Dharma als lebendiger Organismus weiterentwickeln kann - nicht als verstaubter Dharma, sondern als wirklicher dharmakaya, als wirklicher 'Körper der Lehre'" (62). - Für die Menschen bedeute dies, den Buddha-Samen in sich selbst zu entwickeln - gleichsam 'lebendige Lehrkörper' zu werden [32].

Nicht der historische Buddha, sondern der lebendige Dharmakaya sei der "lebendige Buddha" [33]. Analog habe Jesus betont: "Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich bei ihnen." Das heißt, der ewige Buddha-Dharmakaya und der christliche Gott sind beide als der ewig lehrende "Seinsgrund" anzusehen (LBLC 73; mit Bezug auf Paul Tillich). - Für Thich Nhat Hanh ist der Kontext der jesuanischen Verkündigung und der Buddhaworte entscheidend: "Was sie sagten, könnte weniger wichtig sein, als wie sie es sagten" (75). Rein analytische Untersuchungen gingen hier möglicherweise am "Wesentlichen" vorbei; "Theologen vergessen dies manchmal" (75). Ihm falle bei Jesus vor allem der "große Mut auf, mit dem Jesus versuchte, das Leben seiner Gesellschaft zu verändern" (75, Hervorh. A.G.). Der Kontext des Buddha war demgegenüber weniger gewalttätig - aber er glaube, dass der Buddha unter den Lebensbedingungen zur Zeit Jesu wahrscheinlich "ebenfalls gekreuzigt worden wäre" (77).

"Ich bin der Weg" - das Subjekt dieser Aussage sei kein gewöhnliches "Ich", sondern das Leben selbst. Jesu "Übungsweg gehen", darin liege die wahre Nachfolge: "Man muß ein tiefes, liebevolles und wohltätiges Leben führen, wenn man wirklich Jesu Ehre erweisen will. Der Weg ist Jesus selbst, nicht irgendeine Vorstellung von ihm" (LBLC 77). Wer diesen "Weg" [34] geht, "gelangt in das Reich des lebendigen Buddhas und des lebendigen Christus" (78). Durch praktizierte Nachfolge ereigne sich die mystische Partizipation am universalen Lehrkörper Buddhas und am Leib Christi. Auf diese Weise werden Menschen zum "Salz der Erde" (92f): Gewaltlosigkeit, Eintreten für Frieden sind hierbei wichtige Aufgaben ("Jesus braucht Christen"; 96). Das Tötungsverbot und die Entwicklung von Friedfertigkeit (andere Wange hinhalten; 100) sind wichtige Orientierungsmotive. Es gehe aber nicht darum, Partei zu ergreifen wie in der "Option für die Armen" (102), man müsse vielmehr tiefer in die Ursachen von Gewalt und Ungerechtigkeit blicken. Andererseits wäre eine Achtsamkeit ohne die Berücksichtigung weltweiten Hungers und sozialer Ungerechtigkeit auch keine Achtsamkeit (105): Die wahre Übung des liebenden Mitgefühls - bzw. der Feindesliebe - "transformiert" den Menschen.

Echte religiöse Erfahrung wirke daher ent-dogmatisierend und ent-dualisierend: "Christliche Mystiker oder Zen-Meister klingen niemals spekulativ oder intellektuell" (LBLC 204). Das "Ruhen in Gott" - wie es im Vaterunser ausgedrückt wird - schaffe eine innerliche Verwandlung, in der das alte "Ich" sterben muss (210). Die Erfahrung einer tiefen Seinsverbundenheit ist das Resultat der religiösen Praxis. Die theologischen Betonungen religiöser Einzigartigkeit im dogmatischen Sinn [35] sind abträglich und irreführend - denn: Wer ist nicht einmalig? Thich Nhat Hanh wendet ein, "hinter der Aussage" stehe zumeist der Gedanke, "daß das Christentum der einzige Weg zur Erlösung sei und alle anderen religiösen Traditionen wertlos seien. Eine solche Haltung schließt aber jeden Dialog aus und fördert die religiöse Intoleranz und Diskriminierung. Sie ist nicht hilfreich" (217, Hervorh. A.G.). - Sicherlich, es gebe Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum. Aber der Geschmack von Orange und Mango ist ebenfalls unterschiedlich, und doch sind beides gleichermaßen "authentische Früchte" (218): "Man kann deshalb nicht sagen, daß das eine ein wirkliches Obst ist, das andere nicht" (219). Hier schließt sich der Bogen zu dem eingangs zitierten Tuttifrutti-Beispiel ("Warum ... sein Leben lang nur eine Frucht kosten?") [36]. - Für Thich Nhat Hanh ist klar. "Wenn man ein wirklich glücklicher Christ ist, ist man auch Buddhist - und umgekehrt" (221). In diesem Sinne kann er auch seine beiden Bücher beschließen: "Wahres Verständnis entsteht aus wahrer Praxis. Verständnis und Liebe sind Werte, die alle Dogmen transzendieren" (LBLC 222) - und: "Jesus und der Buddha sind keine bloßen Ideen; sie sind in uns und in unserer Umgebung lebendig. Wir können täglich mit ihnen in Berührung kommen" (DdL 158).

Fazit. - Weitaus stärker als Ayya Khema hat sich Thich Nhat Hanh auf christliche Traditionen eingelassen. Er versucht offenkundig, mit biblischen Texten, jesuanischen Begebenheiten und Aussprüchen zu "leben". Sie sind Teil seiner (inter)religiösen Praxis, wie er betont, - und zwar angestoßen durch die Begegnung mit beeindruckenden Christinnen und Christen. Die Personhaftigkeit Gottes wird bei Thich Nhat Hanh nicht einfach buddhistisch abgelehnt, sondern mit dem Hinweis auf analoge buddhistische Personifizierungen parallelisiert - dann aber freilich mit einer (mystisch erfahrbaren) Wirklichkeit jenseits von Person und Nicht-Person transzendiert. Seiner Vorliebe für apophatische Traditionen entsprechend ist es vor allem die Praxis Jesu - seine ungeteilte Zuwendung zu den Menschen, der Mut gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren (usw.) -, die ihn für Thich Nhat Hanh zum "spirituellen Vorfahren" macht, auf den er sich neben Buddha gründen kann. Die Einheitsvision ist die einer mystischen "Seinsverbundenheit" mit einer entsprechenden spirituellen Ausrichtung und Praxis, die alle Menschen und Religionen in Liebe verbinden soll.

Das Bild Jesu, das Thich Nhat Hanh entwickelt, ist vor allem das eines spirituell tiefgründigen Lehrers und Sozialaktivisten [37]. Jesus und Buddha gelten ihm gemeinsam (und ergänzend) als die beiden wichtigsten Grundlagen für eine nachhaltige Spiritualität, mit der die Welt Frieden stiftend transformiert werden kann. Sein Jesus-Bild ist allerdings kein einfach nur von "außen" entworfenes Bild, das wegen dieser Außenperspektive für Christ(inn)en "unorthodox" erscheinen muss, sondern es ist durchaus auf der Basis einer eigenständigen - religionsübergreifenden - Jesus-Frömmigkeit gewachsen: Es reflektiert wie ein Spiegel die wichtigsten Ideale und vor allem spirituellen Tugenden, die Thich Nhat Hanh im Laufe seines Lebens für richtig erkannt hat. In 'Dialog der Liebe' schreibt er dazu selbst (DdL 46):

"Das Bild von Jesus, das uns gewöhnlich präsentiert wird, ist das Bild vom Jesus am Kreuz - ein qualvolles Bild. Es vermittelt keine Freude und keinen Frieden und wird somit Jesus nicht gerecht. Ich wünschte mir, unsere christlichen Freunde würden Jesus auch anders darstellen, vielleicht, wie er in der Lotusposition sitzend meditiert oder Gehmeditation praktiziert. Dann würden Frieden und Freude in unsere Herzen einkehren, wenn wir uns Jesus kontemplierend zuwenden. Das ist mein Vorschlag."

Der nachstehend abgebildete Holzschnitt "Jesus the Teacher" aus der Hand des indischen Theologen und Künstlers Solomon Raj kann vielleicht als eine Realisierung dieses von Thich Nhat Hanh anvisierten Bildes betrachtet werden [38]: Die Handhaltungen (Mudras) aus der religiösen Ikonographie Indiens weisen den im Meditationssitz hockenden Jesus als den Lehrer aus (erhobene Hand des Gurus), der die Seinen einlädt, zu seinen Füßen Trost und Unterweisung zu finden (Geste der Einladung und Zuwendung); die Wundmale auf den Händen identifizieren ihn zudem christologisch, als den Sieger über den Tod.

Jesus the Teacher
Indischer Holzschnitt "Jesus the Teacher"
(von Solomon Raj)

4. Der XIV. Dalai Lama: Klares Bewusstsein für Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Der XIV. Dalai Lama [39], der sich des öfteren zu Fragen der Verhältnisbestimmungen und des Dialogs zwischen (tibetischem) Buddhismus und Christentum geäußert hat [40] und bei vielen interreligiösen Zusammenkünften, Tagungen und Gebetstreffen (z.B. Assisi 1986) mitwirkte, hielt 1994 das sog. "John-Main-Seminar" in London. Die von John Main, einem irischen Benediktinermönch (gest. 1984), gegründete "World Community for Christian Meditation" hatte ihn hierzu eingeladen: Eine Woche lang wechselten sich Phasen der Schweigemeditation mit seinen Auslegungen zu Bibeltexten (und anschließender Aussprache) ab. In der publizierten Dokumentation dieses Seminars (deutsch: Das Herz aller Religionen ist eins, HRE) [41] betont der Dalai Lama sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Buddhismus und Christentum: Beide Traditionen könnten trotz aller Verschiedenheiten voneinander lernen, sich ergänzen, korrigieren und befruchten. Aber sie seien eben nicht als lediglich unterschiedliche sprachliche Repräsentationen für eine im Wesenskern gleiche Religion anzusehen. Daher solle man auch keine buddhistisch-christliche Einheitsreligion anstreben, denn die religiöse Vielfalt werde - trotz ihres Konfliktpotentials, das nicht unterschlagen werden dürfe - "den unterschiedlichen geistigen Veranlagungen der Menschen" besser gerecht (HRE 82f; 127f). Der deutsche Titel der Publikation ist daher ziemlich irreführend, weil er der klar ausgesprochenen Intention des Dalai Lama zuwiderläuft.

Auch beim Dalai Lama waren es christliche Menschen (v.a. Mönche) mit spirituellem Tiefgang, die ihn zu der Überzeugung führten, dass die Religionen offenbar überall eine wichtige Aufgabe erfüllen, um "drinnen, in unseren Herzen, Tempel der Güte und des Mitgefühls zu erschaffen" (HRE 80). Wieder mahnt er, keine halbherzige Sowohl-als-auch-Religionszugehörigkeit zu versuchen, denn dies "kann in ihrem Geist nur Verwirrung anrichten"; er wolle daher bei Christinnen und Christen auch keinesfalls "eine Saat des Zweifels und der Skepsis säen" (87).

Zu seinen biblischen Ausführungen im Einzelnen: Mt 5,38-48 (Auge um Auge, andere Wange, Nächstenliebe) könnte so auch in einem buddhistischen Zusammenhang stehen (HRE 90); Shântideva habe im Bodhicariyâvatâra [42] ebenfalls zu Toleranz und Geduld gegenüber "Feinden" ermahnt; sie seien die "besten spirituellen Lehrer" (91). - Mt 5,1-10 (Seligpreisungen) handele von den Entbehrungen auf dem spirituellen Weg und der Belohnung dafür. Der Dalai Lama erkennt außerdem Aspekte der buddhistischen Kausalitätslehre wieder: Handlungen bestimmen ihre Wirkungen. Der Gottesbegriff sei für Buddhisten zwar schwierig, könne aber als Ur-Postulat und als Abwehr eines infiniten Regresses wichtig sein für die Begründung von Sittlichkeit (101f). Das Leben des "Meisters" oder "Lehrers" (Buddha, Jesus) führe "die Essenz der Lehren vor Augen" (104). Nicht nur Jesus im Christentum, auch der Buddha werde im Buddhismus als Repräsentant - bzw. identisch mit - einer transzendenten Dimension angesehen (Dharmakâya).

Mk 3,31-35 (Wer ist meine Mutter, meine Brüder) verweise auf ein Mitgefühl ohne persönliche Vorlieben, ohne Anhaften. Jesu Ausschlussregel, nur "Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter", würde der Dalai Lama gerne erweitern: Alle, die an der göttlichen Natur teilhaben, haben das Potential, den Willen Gottes zu tun - also alle Menschen (HRE 120). - Mk 4,26-34 (Samen- und Senfkorn-Gleichnis) verweist für den Dalai Lama auf die unterschiedlichen Nährböden und Reifegrade der Wahrheit in unterschiedlichen Menschen. Diese menschlich-religiösen Unterschiede dürfen nicht verwischt werden (127f). Es gebe "viele Punkte der Annäherung oder Übereinstimmung [...], zumal im Bereich der Ethik und in der spirituellen Praxis, wenn es um Mitgefühl, Liebe, Meditation und größere Toleranz geht. [...] Wenn es aber zu einem Dialog in Bezug auf philosophische und metaphysische Fragen kommt, müssen wir, so glaube ich, getrennte Wege einschlagen" (140). Die Frage, wie er Jesus begegnen würde, beantwortet der Dalai Lama wie folgt:

"Wenn man als Buddhist, dessen Hauptzuflucht der Buddha ist, mit jemandem wie Jesus Christus in Kontakt käme - dessen Leben uns in aller Deutlichkeit ein Wesen vor Augen führt, das Millionen von Menschen spirituell berührt und bewegt, ihre Befreiung und Freisein von Leid bewirkt hat -, solch einem Menschen gegenüber würde man Verehrung empfinden, Ehrfurcht vor einem voll erleuchteten Wesen oder Bodhisattva" (HRE 142).

"Aus meiner Sicht als Buddhist war Jesus entweder ein voll erleuchtetes Wesen [43] oder ein Bodhisattva von sehr hoher spiritueller Verwirklichung" (HRE 143; Hervorh. A.G.)

Die Geschichte von der Verklärung Jesu (Lk 9,28-36) schöpfe aus einem gesamtmenschheitlichen Reservoir religiöser Überlieferungen von "Visionen". Verschmitzt meint der Dalai Lama hierzu: "Gern würde ich selbst solche mystischen Erfahrungen machen, doch - kein Glück! Ich hätte so manche Frage" (z.B. an alte indische Meister, 153f). Lk 9,1-6 (Aussendungsrede) betone die ebenfalls häufig anzutreffende Aufgabe zum Weitergeben einer religiösen Erfahrung. Dieser Erfahrungsaustausch mit anderen Menschen sei wichtig - und zwar in Einfachheit, Bescheidenheit und Bereitschaft zum Verzicht ('Hauslosigkeit', Bettelgang). Milde und Gewaltlosigkeit hätten aber auch ihre Grenzen - vor allem, wenn das Wohl vieler Menschen bedroht ist (der Dalai Lama erwähnt eine Vorgeburtsgeschichte des Buddha im Jâtaka, als der Bodhisattva sich sogar gezwungen sah, einen Mörder zu töten und diese Schuld um anderer willen auf sich zu laden; 178). - Joh 12,44-50 (Wer an mich glaubt, glaubt ... an den, der mich gesandt hat, usw.) sei ein wichtiger Text, zu dem es viele Analogien im Buddhismus gebe, wenn z.B. der Buddha und der Dharma (bzw. Dharmakâya) in wechselseitiger Bezogenheit thematisiert werden [44] (181ff).

Fazit. - Der Dalai Lama entwickelt eine ausgesprochen differenzierte und unprätentiöse Perspektive auf die christliche Tradition. Er erweist sich hierbei erfahren im Umgang mit Problemen interreligiöser Hermeneutik: Er erkennt Analogien, erläutert seine Assoziationen aus dem buddhistischen Kontext, aber ohne diese als verbindliche Deutungen der biblischen Traditionen vorzustellen. Er verkörpert in seinen Ausführungen zu biblischen Texten ganz plastisch die Intention des 'Nicht-Anhaftens' (vgl. auch seine Bescheidenheit in den Schlussworten, HRE 207). Er betont unmissverständlich, dass es tiefe, geradezu unüberbrückbare Unterschiede gibt - z.B. die Kausalitätslehre des Buddhismus im Gegenüber zur personalen Schöpferkonzeption des Christentums -, er sieht aber dennoch Raum für tief gehende Gemeinsamkeiten: Auch für den Dalai Lama liegen diese besonders in Bereichen der spirituellen und ethischen Dimension, allerdings ohne andere Unterschiede dadurch verflachen zu wollen. - Jesus ist für ihn zumindest ein hoch realisierter Bodhisattva, vielleicht sogar ein voll erleuchtetes Wesen (Buddha).

5. Kenneth S. Leong: Jesus als Zen-Meister wiederentdecken

Der in den USA (New York) lebende Banker und Zen-Lehrer Kenneth Leong [45] ist der jüngste Autor unter den vier Fallbeispielen. Er wuchs in Hongkong als Anglikaner auf, wurde dann aber nicht konfirmiert, sondern gab seinen Glauben endgültig im Alter von ca. sechzehn Jahren auf: "Ich fand die Vorstellung, Gott als Krücke zu benützen, abstoßend" (JZ 131). Doch mittlerweile denkt er anders über seine damalige Entscheidung: "Mit sechzehn verließ ich Jesus, um das Tao zu suchen. Heute bin ich vierzig, und mir geht auf, daß ich das Tao in Jesus hätte finden können" (7; Hervorh. A.G.). Zen sei nämlich "nichts Fremdes von außen", es sei vielmehr "Alltagsspiritualität" und somit "ein die Kulturen und Religionen übergreifendes Phänomen": "Wo Sie auch sein mögen, Sie können es immer entdecken. Denn Zen ist in Ihnen" (7).

Leong geht es in erster Linie darum, "die Lehren Jesu unter einem neuen Blickwinkel anzugehen und die verlorengegangenen Dimensionen seiner Spiritualität wieder zu erschließen: die Freude, den Humor, die Poesie. [...] Wir deuten Jesus oft deshalb falsch, weil wir versucht sind, ihn zu 'ernst' oder zu 'feierlich' zu nehmen" (8). - Schon in diesen Worten zeigt sich der typische Zen-approach Leongs mit dem bekannten Vorbehalten gegen allzu ernste Formen der Heiligkeit ("offene Weite, nichts Heiliges"). Man brauche das "Herz", um etwas über das Leben zu wissen, und tiefsinnige Äußerungen beinhalten daher oft humorvolle Widersprüche. Ungezwungenheit, Nonkonformismus, Heiterkeit seien die typischen Kennzeichen des Zen als Lebenskunst. So gelte es auch, mit dem Lebens-Künstler und Poeten Jesus eine "Herzensverbindung" einzugehen; es sei erfrischend, die Evangelien mit der "Einstellung eines Anfängers" neu zu lesen.

Nach einer allgemeinen Einführung ins Zen stellt er fest, Jesu Lehre sei eine "Kunst des 'Gewinnens durch Verlieren', eine Art 'spirituelles Judo'" (JZ 49). Die strikte Ablehnung der Frage einiger Sadduzäer nach dem postmortalen Status einer Ehe offenbare Jesu verschmitzte Verschlagenheit im Umgang mit metaphysischen Tricks. Auch wenn er sage, "Das Reich Gottes ist mitten unter euch" (Lk 17,20f), dann zeige sich hier Jesu Einstellung zum 'heiligen' Reich Gottes: Es ist "Hier und Jetzt". Die Erleuchtungserfahrung (Satori) entspräche dem "neu geboren werden" bei Jesus; man müsse lernen, über den Tod hinauszuwachsen (Weizenkorn-Gleichnis; 105). Kenneth Leong kann daher betonen:

"Wir müssen erkennen, daß es in Zen und im Christentum nicht um zwei verschiedene Geschichten geht, sondern letztlich um ein und dieselbe, nur in unterschiedlicher Sprache." Folglich "ist der Unterschied zwischen Zen und dem Christentum nur ein Unterschied in der Ausdrucksweise" (JZ 119; Hervorh. A.G.).

Die Rede vom "Sohn Gottes" sei eines der größten Koans Jesu. Leong stellt den Vergleich mit der "göttlichen" Buddha-Natur in jedem Menschen her: Wir müssen an den Christus in uns glauben (JZ 122ff). - "Glaube" sei eine Sache der Auslieferung (Vaterunser; 132f): Man muss Gott über sein eigenes "Ich" stellen. Pervertierter Glaube wird dagegen selbstgerecht (139). Jesus habe daher immer auf die "lebendige" Wahrheit hingewiesen, nicht auf tote Buchstaben (Weherufe gegen die Pharisäer; Mt 23,29). Das Gleichnis vom Reichen Jüngling verweise auf diese Aufgabe: das Aufgeben des Egos und allen Anhaftens. - Und wenn Jesus die Ehebrecherin vor der drohenden Steinigung mit den Worten "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" rettet, dann zeige sich: "Jesus lehrt hier eindeutig Zen" (222). - Diese Beispiele ließen sich noch weiter vermehren.

Fazit. - Jesus ist nichts anderes als ein großartiger Meister des Zen - ein poetischer Lebenskünstler, der die Menschen zur Achtsamkeit aufrütteln möchte und sie aus ihren Verständnisbarrieren herausreißt. Auf der Basis seiner Zen-Erfahrungen entdeckt Leong den biblischen Grundtext seiner eigenen religiösen Vergangenheit wieder neu - allerdings entdeckt er meist nur das wieder, was er mittlerweile bereits durch das Zen kennt. Dennoch gilt auch hier: Nicht alle seine Interpretationen sind einfach nur "von außen" kommende Fremdinterpretationen, mitunter werden auch Facetten jesuanischen Handelns freigelegt, die man christlicherseits durchaus ähnlich interpretieren könnte. Allerdings wirkt der axiomatische Satz, es handle sich in beiden Traditionen stets um dasselbe, etwas gekünstelt und die übergroße Wolke zitierter externer Zeugen ermüdet streckenweise. Die nahe liegende Frage, ob man eigentlich ein Buch über Zen oder wirklich ein Buch über Jesus liest, ist allerdings hinfällig, denn Leong geht es hier ohnehin um 'dasselbe'.

6. Abschließende Bemerkungen und Ausblick

Zunächst möchte ich die obigen Ausführungen zu den vier Beispielen buddhistischer Jesus- und Christentumswahrnehmung noch einmal mit knappen Charakterisierungen zusammenfassen:

- Ayya Khema entdeckt buddhistische Grundaussagen in den Texten der Bergpredigt wieder, ohne sich mit der Person Jesu intensiver auseinander zu setzen. Das Neue Testament wird zu Folie buddhistischer Spiritualität, insbesondere der Kultivierung von mitleidender Güte.

- Thich Nhat Hanh lebt dagegen tiefer aus der biblischen Quelle: Es ist die "Praxis Jesu", die ihn fasziniert und die für seinen "engagierten Buddhismus" eine wichtige Inspiration darstellt. Jesus und Buddha sind für ihn die Bezugsgrößen einer lebendigen und das Leben verändernden Spiritualität - gleichsam ein durch Meditation vergeistigtes "social gospel".

- Der Dalai Lama erliegt meines Erachtens am wenigsten der Gefahr, Jesus bzw. die Bibel für sich und seine buddhistische Sicht zu vereinnahmen; er ist sich der Differenzen und seiner eigenen Perspektivität sehr bewusst, obwohl er ebenfalls die Gemeinsamkeiten in der spirituellen Orientierung und ethischen Praxis sucht.

- Kenneth Leong sieht in Jesus vor allem einen authentischen Zen-Lehrer - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

In mancher Hinsicht verkörpern die vier aber auch deutliche Nuancen ihrer jeweils unterschiedlichen Herkunftstradition innerhalb des Buddhismus: Ayya Khema kann als Theravada-Buddhistin am wenigsten mit dem personalen Gottesverständnis der Bibel und der Person Christi anfangen. Die drei Mahâyâna-Buddhisten haben es da leichter; sie können im Blick auf die reich ausgestalteten Sphären voller Buddhas und Bodhisattvas mit analogen personalen "Repräsentationen" der letzten Wahrheit in einer anderen religiösen Tradition rechnen [46] und Jesus daher als einen weiteren, besonderen und personhaft konkretisierten "Lehrkörper" würdigen [47]. - Hier wäre allerdings eine umfassendere Diskursanalyse notwendig, um das Profil der Beiträge noch besser zeichnen und in ihrem jeweiligen Kontext präziser verorten zu können.

Alle genannten Autoren nähern sich der christlichen Überlieferung unpolemisch und mit spiritueller Behutsamkeit. Es ist auffällig, dass viele biblische Beispiele von fast allen zugleich aufgegriffen werden und dass die Betonung stets auf der Kultivierung von Spiritualität und lebendiger Achtsamkeit liegt.

Dagegen werden problematischere Vorstellungskomplexe wie Apokalyptik und Eschatologie oder das personale Gottesverständnis ausgeblendet (oder umgehend spiritualisiert), um buddhismuskompatibleren Vorstellungen Raum zu gewähren - oder zumindest interreligiös nahe liegende Schwierigkeiten bis hin zu traditionell-polemischen Heterostereotypen nach Möglichkeit zu umschiffen. Es ist ein deutlicher Widerhall von buddhistischer "Geschicklichkeit" (upâya bzw. upâya-kaushalya) in den buddhistischen Rekonstruktionen christlicher/jesuanischer Gedanken wahrzunehmen.

Der Einsatz "geschickter Mittel" [48] geht sicherlich auf den historischen Buddha zurück (es handelt sich hier u.a. um eine typischer Form buddhistischer "Anknüpfung" an den Verständnishorizont der Anderen; bereits der Buddha erwies sich als sehr geschickt im "apologetischen" Umgang mit nicht- bzw. vorbuddhistischen Auffassungen).

Alle vier stören sich an Ausschließlichkeitsansprüchen der christlichen Überlieferung und kontrastieren dies mit 'offeneren' Vorstellungen innerhalb der buddhistischen Tradition [49]. Dabei wird freilich unterschlagen, dass die buddhistische Tradition - womöglich sogar der Buddha selbst - nicht minder stramm exklusiv anmutende Geltungsansprüche entworfen haben. Aber wie es schon in der eingangs erwähnten "Rede an die Kâlâmer" formuliert wurde: Sofern die biblischen bzw. jesuanischen Traditionen zur Verminderung von Gier, Hass und Verblendung führen - und das können sie offenkundig nach der Wahrnehmung durch alle vier Gewährsleute -, können sie buddhistischerseits zumindest in dieser Hinsicht gewürdigt werden.

Abgesehen vom Dalai Lama wird jedoch eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Widerständigkeit und Fremdheit der biblisch-jesuanischen Verkündigung nicht wirklich gesucht [50]. Die drei anderen Protagonisten entwerfen zudem jeweils relativ "schlicht" - d.h., zumindest für eine religionswissenschaftliche Perspektive - relativ schlicht anmutende Einheitspostulate. Die Religionswissenschaft hat in ihrer jüngeren Geschichte selbst recht lange damit gerungen, derartig einfache Einheitsvisionen von "Religion" (im Singular!) zu überwinden - zugunsten der jeweiligen Besonderheit unterschiedlicher religiöser Traditionen.

Aber auch im Rahmen einer interreligiösen Begegnung zwischen (Vertreterinnen und Vertretern) religiöser Gemeinschaften wird es erst dann richtig spannend, wenn die aus dem eigenen Kontext vorfabrizierten Vereinnahmungsideen überwunden werden und die andere bzw. fremde religiöse Tradition in ihrer Eigenständigkeit, in ihrer Widerborstigkeit und Besonderheit auftaucht - wenn gleichsam das "Antlitz" des Anderen und Fremden aufblitzt und es daher nicht mehr einfach in die eigene kognitive Landkarte 'eingemeindet' werden kann [51]. Manche der hier Vorgestellten berichteten davon, dass die dialogische Begegnung mit Christinnen und Christen sie angestoßen hat, darüber nachzudenken. Das heißt, die reale Konfrontation mit dem andersreligiösen Antlitz hat sie 'be-wegt' - auf den Weg tieferer interreligiöser Auseinandersetzung gebracht. Dennoch erwiesen sich manche ihrer daraus resultierenden Rekonstruktionsversuche doch wieder als inklusive Eingemeindungsversuche.

Alle vier Beispiele demonstrieren daher die religionsgeschichtlich immer wieder außerordentlich nahe liegende Selbstverständlichkeit eines hierarchisch-inklusiven Interpretationsgestus: Das religiös Fremde wird bestenfalls als "alter ego" - als Dublette zum Eigenen - gewürdigt [52]. Diese Selbstreferentialität religiöser Aussagen über religiös Fremdes ist ubiquitär: Religiös Fremdes wird meist auf diese Art und Wiese in seiner Bedrohlichkeit und Andersartigkeit relativiert und "entsorgt". Insofern sagen eben auch viele Äußerungen dieser Buddhisten über Jesus vielfach mehr - oder zumindest genauso viel - über ihre eigene Tradition als über die Intention Jesu bzw. biblischer Passagen.

Sie sind sich einig darin, dass Jesus ein besonderer Mensch und vor allem ein wichtiger spiritueller "Lehrer" ist. Ihre Wahrnehmung deckt sich freilich nicht so recht mit christlichen Binnenperspektiven, denn sie eignen sich Jesus-Traditionen für ihre jeweils eigenen buddhistischen Ziele an. Sie reduzieren die Vieldimensionalität Jesu bzw. der Bibel dabei oft auf buddhistische Achtsamkeits- und Güte-Tugenden. Eine willentliche Verfälschung darf man ihnen aber nicht unterstellen - es überrascht sogar, mit welcher Mühe und Intensität die Autor(inn)en aus ihrer Perspektive um einen authentischen Jesus bemüht sind. Im Rahmen der interreligiösen Begegnung zwischen Buddhismus und Christentum sind diese Stimmen daher sehr wichtig.

Fußnoten:

[1] Dieser Vortrag (Mainz 2002 und Bayreuth 2001) erscheint in gedruckter Fassung in dem Sammelband: Das Christentum aus der Sicht der Anderen. Religionswissenschaftliche und missionswissenschaftliche Beiträge, hg. v. Ulrich Berner, Christoph Bochinger und Klaus Hock, (Beiheft der Zeitschrift für Mission, Nr. 3), Frankfurt am Main 2004.

[2] Vgl. Oliver Freiberger, Der Orden in der Lehre. Zur religiösen Deutung des Sangha im frühen Buddhismus, Wiesbaden 2000; Andreas Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube. Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum, Tübingen 1999, Kap. 4 (189ff); ders., Zur Thematisierung des religiös Fremden im frühen Buddhismus (Pâli-Kanon), in: Dieter Becker (Hg.), Mit dem Fremden leben. Teil 1: Religionen - Regionen, (FS Theo Sundermeier), Erlangen 2000, 81-91.

[3] Der als Initiator für die indologische "Inklusivismus-Debatte" bekannte Indologe Paul Hacker sprach im Blick auf den frühen Buddhismus von einem besonderen "Inklusivismus der Kraft" oder "Stärke", der sich in einem massiv uminterpretierenden Umgang mit vorbuddhistischen Vorstellungen zeige und auf einem offenkundigen "Überlegenheitsbewusstsein" beruhe. Vgl. seinen Vortrag "Inklusivismus" in: Gerhard Oberhammer (Hg.), Inklusivismus - eine indische Denkform, Wien 1983, 11-28 (hier v.a. 23ff).

[4] Vgl. die Analysen und Beispiele in Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube, 200-215. Zentrale Texte des Pâli-Kanons hierzu wären z.B. DN 1, 2 und 11 (nach der üblichen Nummerierung in westlichen Ausgaben), die sich u.a. in der Übersetzung von Otto Franke, Dîghanikâya. Das Buch der langen Texte des buddhistischen Kanons, Göttingen/Leipzig 1913, gut nachlesen lassen. Vgl. auch die Darstellung der interreligiösen Auseinandersetzung in Konrad Meisig, Klang der Stille. Der Buddhismus, Freiburg i. Br. 1995, v.a. 21ff ("Der Urbuddhismus als oppositionelle Reformbewegung").

[5] Ekâyana magga, vgl. im Schlussabschnitt zur "Lehrrede von der Achtsamkeit" (Satipatthânasutta, in beiden Fassungen: DN 22 bzw. MN 10), DNPTS II,315 und MNPTS I,63.

[6] Vgl. meine Ausführungen zum "Gleichnis von den Blindgeborenen" (Udâna 6,4) sowie zur stigmatisierenden Metapher der "Blindheit" in Der eigene und der fremde Glaube, 202-205. In eine ähnliche Richtung weist das "Gleichnis von der Elefantenspur" (MN 28; vgl. zum Thema der Elefantenspur auch MN 27, sowie meine diesbezüglichen Kommentare ebd., 220).

[7] Vgl. DN 16.5.23-30 (DNPTS II,148-153), in Frankes Übersetzung 239-242. Vgl. Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube, 212f.

[8] Dies ist einer der Erträge bei Freiberger, Der Orden in der Lehre, vgl. v.a. 49-135 ("Der Orden und andere Asketen"). Vgl. auch ders., Profiling the Sangha. Institutional and Non-Institutional Tendencies in Early Buddhist Teachings, in: Marburg Journal of Religion 5:1 (2000); diese Online-Zeitschrift ist nur im Internet zugänglich
(www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/freiberger.html).

[9] Horst G. Pöhlmann, Begegnungen mit dem Buddhismus. Dialoge, Erfahrungen und Grundsatzüberlegungen; ein Beitrag zum interreligiösen Gespräch, Frankfurt am Main 1997, 107f.

[10] (ANPTS I,188-193). Vgl. die Übersetzung von Nyanatiloka, Anguttara-Nikaya. Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung, 4. Aufl., Freiburg i. Br. 1984, 167-171, der auch die nachstehenden Zitate entstammen.

[11] Der Text konkretisiert: "Kâlâmer, von der Gier [... vom Hass ... von der Verblendung] überwältigt, umstrickten Geistes, tötet man Lebendiges, nimmt man Nichtgegebenes, vergeht man sich an seines Nächsten Weib, spricht man Lüge und spornt auch andere dazu an; und dies wird einem lange Zeit zum Unheil und Leiden gereichen." - "So ist es , o Herr." [...] "Und führen diese Dinge, wenn ausgeführt und unternommen, zu Unheil und Leiden oder nicht? Oder wie steht es hiermit?" - "Diese Dinge, o Herr, wenn ausgeführt und unternommen, führen zu Unheil und Leiden. So denken wir hierüber." Der Buddha führt noch einmal aus, dass die selbständige Prüfung solcher unheilvollen Folgen - aber auch eventuell segensreicher Auswirkungen (im Sinne eines möglichen Beitrags zur Überwindung von Gier, Hass und Verblendung) - jeweils neu darüber entscheiden muss, ob etwas abzulehnen ist oder vielleicht doch angeeignet werden kann: "Wenn ihr aber, Kâlâmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kâlâmer, möget ihr sie euch zu eigen machen." - Mit der üblichen Bekehrungsformel nehmen die Kâlâmer aus Kesaputta schließlich ihre dreifache Zuflucht zum Buddha, Sangha und Dhamma.

[12] DN 16.2.25f (DNPTS II,100f); vgl. Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube, 218f.

[13] Ebenso wird das bekannte "Gleichnis von den Blindgeborenen", die einen Elefanten zunächst betasten und danach beschreiben sollen (vgl. oben, Anm. 5), auch heute noch immer wieder missverstanden und fälschlicherweise als Paradigma buddhistischer Toleranz und nahezu 'pluralistischer' Offenheit für die Teilwahrheiten anderer gedeutet; vgl. z.B. bei Pöhlmann, Begegnungen, 36. Die Intention geht in die gegenteilige Richtung: Die anderen sind absolut "blind" für das Ganze und verstricken sich daher unendlich in ihre hilflosen und albernen Tastversuche. Von einer positiv akzentuierten - inklusiven oder gar pluralistischen - "Teilhabe an der Wahrheit" (o.ä.) ist hier wenig zu vernehmen, wie die amüsierte Reaktion des Königs im Gleichnis und das explizit deutende Fazit aus dem Munde des Buddha zeigen: Wer nämlich den Durchblick für das "Ganze" hat, kann den endlosen, rechthaberischen Streit der anderen um ihre winzigen "Bruchstücke" nur belächeln.

[14] So ist es auch kein Zufall, dass Pöhlmann nach seinen Gesprächen mit Theravada-Buddhisten feststellen musste, der Ertrag zum Thema Jesus sei recht "dürftig" gewesen (Begegnungen, 165f).

[15] Ein wahre Fundgrube für die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Buddhismus und Christentum ist Michael von Brück/Whalen Lai, Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog, München 1997.

[16] Vgl. Perry Schmidt-Leukel in seiner Einleitung zu ders. u.a. (Hg.), Buddhist Perceptions of Jesus. Papers of the Third Conference of the European Network of Buddhist-Christian Studies (St. Ottilien 1999), St. Ottilien 2001, 21ff. - Christinnen und Christen beginnen interreligiöse Dialoge in der Regel auch nicht mit dem Rekurs auf 'exklusiv' klingende Bibelstellen wie Joh 10,9 oder 14,6.

[17] Vgl. zu dieser Themenstellung: Perry Schmidt-Leukel/Thomas Josef Götz (Hg.), Buddhist Perceptions of Jesus, St. Ottilien 2001, und Rita M. Gross/Terry Muck, Buddhists Talk about Jesus - Christians Talk about the Buddha, New York/London 2000. Vgl. außerdem Paul Griffiths, Christianity through Non-Christian Eyes, Maryknoll 1990, sowie Alfred Weil (Hg.), Brücken bauen ins nächste Jahrtausend. Buddhistisch-christlicher Dialog für eine lebenswerte Zukunft, Zürich 1999.

[18] Vgl. hierzu auch Terry C. Muck, Buddhist Books on Jesus, in: R.M. Gross/T.C. Muck, Buddhists Talk about Jesus..., 143-153.

[19] Biographie in Stichworten: 1923 als Kind jüdischer Eltern in Berlin geboren; 1938 Flucht vor dem Nationalsozialismus nach Schottland, kurz darauf nach China. 1949 US-Staatsbürgerin; lebte danach als Ehefrau und Mutter zweier Kinder in Kalifornien, später in Australien. Ausbildung bei buddhistischen Lehrern in Burma, Thailand, Sri Lanka (dort bei Nyanaponika), in den USA und Australien. 1975 begann sie, Theravada-Traditionen buddhistischer Lehre und Meditationspraxis zu vermitteln und wurde weithin als Meditationslehrerin bekannt. 1978 Gründung des Waldklosters Wat Buddha Dhamma in Australien, unweit von Sydney. 1979 in Sri Lanka als Nonne ("Ayya Khema") ordiniert; zwei Jahre später gründete sie das "International Buddhist Women's Centre" nahe Colorado. 1984 schuf sie mit ihrem Frauenkloster und Meditationszentrum auf einer der Island Hermitage benachbarten kleinen Insel im Südwesten Sri Lankas eine internationale Stätte für Studium und Praxis des Buddhismus. 1989 Rückkehr nach Deutschland, wo sie 1997 starb.

[20] Aufl., Uttenbühl 1995; 2. Aufl., Uttenbühl 1999.

[21] Uttenbühl 1995; München 2000.

[22] Ausführlich zitiert in Nsvd 11f.

[23] (SnPTS 26f). Vgl. die deutsche Übersetzung von Nyânaponika, Sutta-Nipâta. Frühbuddhistische Lehrdichtungen aus dem Pali-Kanon, 3. Aufl., Stammbach 1996, 58f und 77-79. Sn 1.8, die Lehrrede von der "Güte" (mettâ ), ist ein wichtiger und beliebter buddhistischer Grundtext für die praktische Entfaltung einer inneren Haltung der freundlichen Zugewandtheit zu allen Lebewesen.

[24] Die urbuddhistische Tugend der "Spendefreudigkeit" (wichtig für den Unterhalt der monastisch organisierten frühbuddhistischen Gemeinschaft durch die Laienmitglieder) gerät bei Ayya Khema zum alleinigen Synonym für den biblischen Begriff der Gerechtigkeit. Noch oberflächlicher muten die Passagen in Nsvd 26f an, wenn sie "gerecht" (sein) mit "aufrecht" (gehen) parallelisiert. In GidL 72ff (Ausführungen zu Mt 5,10: "Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich") kommt sie zwar noch einmal auf das Thema Gerechtigkeit zurück; aber auch hier bleibt der Tenor spiritualisierend (Kultivierung von inneren Tugenden).

[25] Die Verstrickung in den Geburtenkreislauf wird durch sie bewirkt (vgl. bereits ihre Rolle als Prinzipien interreligiöser Hermeneutik in der o.a. "Rede an die Kâlâmer").

[26] Sie parallelisiert an diesem Punkt Meister Eckharts Rede vom "göttlichen Funken" mit der buddhistischen Lehre vom "Samen der Erleuchtung" (GidL 62).

[27] Allerdings ist die Konzentration auf die Thematik "liebende Güte" zweifellos kein nur 'von außen' an die biblischen Texte herangetragener Topos.

[28] Dieser Eindruck ist bei der Lektüre von Nsvd sogar noch stärker ausgeprägt, da hier die buddhistischen Texte und Themen meistens vorangestellt erscheinen, um dann in einem zweiten Schritt mit biblischen Beispielen und 'Analogien' illustriert zu werden.

[29] Mit dieser - für inklusive Verhältnisbestimmungen sehr sprechenden - Phrase sollen angeblich australische Touristen ihre Eindrücke in London zusammengefasst haben (mündliche Tradition).

[30] Biographische Eckdaten: 1926 in Zentralvietnam geboren; 1942 Ordination zum Mönch in der Rinzai-Tradition des Zen-Buddhismus (Tu-Hieu-Kloster); sozialkritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Realität des gegenwärtigen Vietnams. Gründete 1964 die Unified Buddhist Church of Vietnam als Vereinigung buddhistischer Erneuerungs- und Widerstandsgruppen. Studium in den USA (Princeton) und Dozentur an der Columbia University in New York. Begegnungen und Austausch mit Martin Luther King Jr.; Widerstand gegen den Vietnamkrieg; 1966ff fiel er wegen seines Friedensengagements bei beiden vietnamesischen Regimen in Ungnade und widmete sich seither der Verbreitung des Buddhismus im Westen. Lebt bis heute im Exil und arbeitet v.a. als Meditationslehrer, Schriftsteller und Poet. Wichtiger Mitbegründer des pazifistisch eingestellten "engagierten Buddhismus". Gründete das Einkehrzentrum Plum Village in Frankreich sowie den Orden Tiep-Hien (Order of "Interbeing"). Engagiert sich für die Begegnung von Christentum und Buddhismus, v.a. auf spiritueller und soziopraktischer Ebene. - Vgl. hierzu in M. von Brück/W. Lai, Buddhismus und Christentum, 560-568.

[31] So lautete der ursprüngliche Titel (1. Aufl., München 1996) des mittlerweile als Buddha und Christus heute. Verbindende Elemente von Buddhismus und Christentum, Vollständige Taschenbuchausgabe, München 1999 [mein Kürzel LBLC bezieht sich mit den Seitenangaben auf diese Ausgabe], aufgelegten Buches (Original: Living Buddha, Living Christ, New York 1995). Vgl. von Thich Nhat Hanh außerdem eine aus LBLC extrapolierte Zitatensammlung unter dem Titel: Meditationen zu "Lebendiger Buddha, lebendiger Christus". München 2001 (Original: Be still and know, New York 1996), sowie Dialog der Liebe. Jesus und Buddha als Brüder [zitiert als DdL], Freiburg i. Br. 2000 (Original: Going Home. Jesus and Buddha as Brothers, New York 1999). Die zuletzt genannte Publikation weist viele inhaltliche Überschneidungen zu LBLC auf; meine Ausführungen konzentrieren sich daher vorwiegend auf LBLC.

[32] Die zehn Hoheitstitel des Buddha seien daher auch nicht auf den Buddha beschränkt: Alle Menschen trügen sie im Keim in sich. Analog gehe es in der Taufe darum, dass jeder Mensch im Heiligen Geist die Eigenschaften der Sohn- bzw. Tochterschaft Gottes manifestieren könne: "Dies bedeutet, daß wir von derselben Wirklichkeit sind wie Jesus. Dies mag für viele Christen ketzerisch klingen" (66), aber wir seien eben "Söhne und Töchter Gottes und die Kinder unserer Eltern" (69). - Vgl. die analogen Ausführungen in DdL 45f.

[33] Thich Nhat Hanh sieht in den letzten Anweisungen des Buddha an seine Jünger, den Dharma und dessen eigenständige existentielle Realisierung als alleinige Zufluchtsinstanzen (als "Insel" bzw. "Leuchte") anzusehen, einen Beleg für die Relativierung seiner historischen Person (LBLC 72, analog DdL 46ff). Vgl. hierzu Grünschloß, Der eigene und der fremde Glaube, 218f.

[34] Thich Nhat Hanh verweist hier ausdrücklich auf die christliche Selbstbezeichnung "Weg" (gr. hodos) in der Apostelgeschichte.

[35] Thich Nhat Hanh verweist hier (216f) als Beispiel auf Papst Johannes Paul II, der in seinem Buch 'Die Schwelle der Hoffnung überschreiten' Christus als absolut einzigartig, nämlich als den "einzige[n] Mittler zwischen Gott und den Menschen" bezeichnet hat.

[36] Vgl. ebenso am Ende von DdL, 159.

[37] Vgl. Terry C. Muck, Buddhist Books on Jesus, 150.

[38] P. Solomon Raj, Auf Palmblatt geschrieben. 14 Holz- und Linolschnitte aus Indien, Wuppertal 1988, 19. - Hier dokumentiert sich eine gewisse indische Vorliebe für den "meister"-haften, souveränen und lehrenden Jesus des Johannesevangeliums, der gleichsam Avatar-artig auf die Erde kommt und am Ende sagen kann: "Es ist vollbracht".

[39] Biographische Eckdaten: Geb. 1935 in Nordost-Tibet (Lhamo Dhondrub); 1937 als Reinkarnation erkannt, 1939ff als Mönch in Lhasa (Tenzin Gyatso); im Gefolge der chinesischen Okkupation (1950ff) ergebnislose Verhandlungen mit der chinesischen Führung; 1959 Flucht nach Indien und Gründung einer Exilregierung mit Modell einer demokratischen Verfassung für Tibet. Seither viele Reisen mit Bemühungen um Toleranz und Frieden; Werbung für eine friedliche und freiheitliche Lösung des Tibet-Problems, Engagement für interreligiöse Verständigung; 1989 Friedensnobelpreis.

[40] Vgl. z.B. Michael von Brück, Denn wir sind Menschen voller Hoffnung. Gespräche mit dem XIV. Dalai Lama, hg. v. Jürgen Haase, München 1988, sowie die Darstellung in M. von Brück/W. Lai, Buddhismus und Christentum, 516-528. - Der Dalai Lama hält es nicht für wünschenswert, eine Theorie oder eine Ideologie als verbindlich für alle zu erklären. Differenzen sollten nicht überspielt werden; aber es gebe dennoch Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen. Gerade die Verschiedenheit erlaube eine realitätsbezogene Prüfung religiöser Überlieferungen. Die Religionen gleichen unterschiedlichen "Medikamenten, die ein Arzt verschreibt" (Buddhismus und Christentum, 518), und wegen der unterschiedlichen Krankheitsursachen könne es eben nicht nur eine Therapie geben. Oder mit einem anderen Bild: Ein großes Hotel muss unterschiedliche Speisen bereithalten, da die Geschmäcker verschieden sind; so verhalte es sich eben auch "mit der Nahrung für das Bewusstsein" (Denn wir sind Menschen voller Hoffnung, 69).

[41] Dalai Lama, Das Herz aller Religionen ist eins. Die Lehre Jesu aus buddhistischer Sicht, Hamburg 1997 (engl. Original: The Good Heart: a Buddhist Perspective on the Teachings of Jesus, Boston 1996).

[42] Nachzulesen in der deutschen Übersetzung: Santideva, Eintritt in das Leben zur Erleuchtung (Bodhicariyâvâtara). Lehrgedicht des Mahâyâna. Aus dem Sanskrit übersetzt von Ernst Steinkellner, Düsseldorf/Köln 1981, v.a. Kap. VI über Vollkommenheit der Geduld und Hochschätzung von Feinden um der Geduldentwicklung willen; vgl. hier besonders 75f.

[43] Also ein Buddha - oder gar ein Sammâsambuddha (Sanskr. Samyaksambuddha)?

[44] Vgl. im Pâli-Kanon z.B. die Aussage "Wer die Lehre sieht, sieht mich, und wer mich schaut, der sieht die Lehre. Denn wenn man die Lehre sieht, sieht man mich, und wenn man mich sieht, sieht man die Lehre" (Samyuttanikâya 22,87; SNPTS III,120).

[45] Kenneth Leong wurde 1953 in Hongkong geboren; kam 1954 zum College-Studium in die USA, wo er Abschlüsse in Statistics und Computer Science und einen M.B.A. in Finance erwarb. Er lebt seither in New York und arbeitet als Banker im financial risk management; seine Berufung sieht er jedoch mehr im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Er beschreibt sich als "Schriftsteller, Künstler, Philosoph, Poet und Zen-Lehrer"; hat in mehreren Meditationszentren Zen-Meditation vermittelt und gelehrt. Er engagiert sich im interreligiösen Dialog - v.a. zwischen Buddhismus und Christentum; zurzeit arbeitet er an einem Buch über Zen-Ethik. Sein bereits in den neunziger Jahren erschienenes Buch über 'The Zen Teachings of Jesus' (New York 1995) ist Gegenstand der folgenden Ausführungen, und zwar in der deutschen Übersetzung Jesus - der Zenlehrer. Das Herz seiner Lehre [zitiert als JZ], Freiburg i. Br. 2000.

[46] Vgl. meine kurze Darstellung und Diskussion der interreligiösen Relationierungen durch Masao Abe in Der eigene und der fremde Glaube, 226f.

[47] José Ignacio Cabezón, Dozent an der Iliff School of Theology und tibetischer Buddhist kubanischer Abstammung, formuliert in seinem Beitrag "A God but not a Savior" (in: Gross/Muck, Buddhists Talk about Jesus..., 17ff) ebenfalls einige interessante Beobachtungen, die ich wenigstens noch kurz skizzieren möchte: (a) Jesus sei zwar wie der Buddha ein Reformer, aber seine sozialkritischen Impulse gingen tiefer und seien radikaler als die des Buddha. Für Buddhisten sei dies ein sehr anziehender Aspekt Jesu: "We Buddhists have a great deal to learn from this aspect of the life of Jesus" (20). - (b) Würdigung verdiene aus tibetisch-buddhistischer Perspektive (!) außerdem Jesu Wirken als Magier, Heiler und Wundertäter; "he was an extraordinary individual" (21). Solche Fähigkeiten seien zwar "gewöhnliche Fertigkeiten" nach Auffassung der tibetisch-buddhistischen Tradition, aber Magie gehöre zum religiösen Erleben dazu und dürfe nicht marginalisiert werden. - (c) Jesus als Lehrer sei für Buddhisten sicherlich der anziehendste Aspekt Jesu, was vermutlich "mehr über Buddhisten als über Jesus zu sagen vermag" (22). Die Seligpreisungen, Feindesliebe, Wange hinhalten, u.a. vertrügen sich gut mit buddhistischen Lehren und Tugenden. Buddhisten würden jedoch Verweise auf die Obhut nichtmenschlichen Lebens vermissen, ferner eine klare Methode für den spirituellen "Weg" sowie die Thematisierung von "Weisheit/Gnosis". - (d) Jesus als Gott sei vermutlich der problematischste Aspekt: Zwar sei die Vorstellung einer "Inkarnation" der Gottheit für Mahâyâna-Buddhisten nicht fremd (dharmakâya etc.); man könnte angesichts der besonderen Individualität Jesu durchaus annehmen, er sei eine Manifestation eines höheren Wesens oder einer göttlichen Quelle (im buddhistischen Sinn). Schwierig wäre die Vorstellung der "Inkarnation" des biblischen Gottes, der für Buddhisten alles andere als perfekt erscheine. Außerdem würde die Konzeption eines Schöpfergottes und eines allmächtigen Gottes abgelehnt sowie der Gedanke des Sühnetodes oder die Betonung alleiniger Gnadenwirkung "von oben" (stattdessen: Selbstperfektion). Auch die Behauptung einer einzigartigen Repräsentation / Inkarnation der Gottheit in Jesus wäre für Buddhisten ausgesprochen fragwürdig. - (e) Jesus als Messias werfe ebenfalls Fragen auf: "Wie kann der Tod eines Individuums als direkter und substantieller Grund für das Heil anderer wirksam sein?" Kein anderes Wesen, ob Gott oder Mensch, könne unsere Erlösung (oder Verdammung) bewirken: Wir sind auf uns selbst geworfen. Allerdings, räumt Muck ein, gebe es hier noch einmal ganz andere Möglichkeiten des Dialogs aus Amida-buddhistischer Perspektive.

[48] Vgl. zu diesem - gerade für interreligiöse Relationierungen wichtigen - Konzept die Neuauflage von Michael Pye, Skilful Means. A Concept in Mahayana Buddhism. 2nd ed., London 2003 (1. Aufl. 1978).

[49] Vgl. analog Rita M. Gross, "Meditating on Jesus", in: Gross/Muck, Buddhists Talk about Jesus..., 32-51. - Gross schlägt übrigens eine weitere Variante buddhistischer Jesus-Bilder vor: ihn nicht nur als Bodhisattva (46), sondern darüber hinaus auch als "Meditationsgottheit" (yidam) gemäß der Tradition des Vajrayâna anzusehen.

[50] Der Dalai Lama vertieft dieses Problem der "Fremdheit" allerdings auch nicht weiter.

[51] Vgl. in dieser Hinsicht meine beiden Schlusskapitel zu Der eigene und der Fremde Glaube.

[52] Vgl. für die Klassifikation von Strukturen interreligiöser Fremdwahrnehmung meine systematischen Analysen in Der eigene und der fremde Glaube (v.a. Kap. 1 und 5).

 


Prof. Dr. Andreas Grünschloß, Göttingen
E-Mail: agruens@gwdg.de


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