Biblische Archäologie

Geschichte und gegenwärtige Herausforderungen [1]

Dieter Vieweger

Die Biblische Archäologie ist ein besonderer Zweig der Vorderasiatischen Archäologie. Ihre Besonderheit gründet nicht allein in ihrer historischen Entstehung, sondern in der einmaligen Herausforderung, die Befunde der archäologischen Forschung mit den exegetischen Erkenntnissen zum Alten und Neuen Testament, der palästinischen Landeskunde und allen anderen an der Erforschung des palästinischen Altertums beteiligten Wissenschaftszweigen zu diskutieren und im interdisziplinären Rahmen kritisch abzuwägen.

Der faszinierende Gedanke, die Welt der Bibel in den Altertümern Palästinas zu entdecken, begeisterte schon Generationen von Gelehrten. Seit über 150 Jahren versuchen Forscher durch die systematische Erkundung der materiellen Hinterlassenschaft im Heiligen Land dessen Geschichte zu rekonstruieren. Die Verknüpfung von exegetischer mit landeskundlicher und archäologischer Forschung ist wissenschaftliche Herausforderung und Problem der Biblischen Archäologie zugleich.

1. Zur Geschichte der Biblischen Archäologie

1.1. Frühchristliche Pilger

Die Beschäftigung mit den Altertümern in Palästina begann etwa ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. mit den frühchristlichen Pilgern. Die frommen Reisenden suchten an den Stätten der biblischen Tradition, besonders an den Orten, die mit dem Leben Jesu verbunden waren, zuallererst fromme Erbauung und tiefgreifende Besinnung auf die biblische Geschichte. Ihre Aufzeichnungen sollten aber auch künftigen Pilgern als Orientierung dienen und gleichzeitig den Zeitgenossen, die sich eine solche Reise nicht leisten konnten, zur Erbauung. Zugleich zeugen sie von den langen und beschwerlichen Reisen unter den damaligen Verhältnissen.

Das "Onomastikon" des Eusebius (um 263-339) ist ein herausragendes Zeugnis früher reflektierter Beschäftigung mit der Topographie der Bibel. Es benennt die damals noch bekannten oder in römisch-byzantinischer Zeit neu lokalisierten Orte der biblischen Geschichte und beschreibt deren Lage mit Hilfe des römischen Straßensystems.

Wichtige Nachrichten finden sich natürlich auch in den vielfachen Pilgerberichten aus dem Heiligen Land. Dort beschreiben Pilger die heiligen Stätten, deren geographische Lage, Reisestationen und palästinische Landschaften. Hervorzuheben sind die Berichte des Pilgers aus Bordeaux (Itinerarium Burdigalense; 334), der vornehmen Dame Egeria (381ff.), in der Pilger-"Enzyklopädie" des Theodosius (De situ Terrae Sanctae; 520), eines Reisenden aus Piacenza (Itinerarium anonymi Placentini; 570) sowie von Arculf (De Locis Sanctis; 680) und Willibald (723ff.).

Der Strom der christlichen Pilger riss nie ab und nahm besonders in der Kreuzfahrerzeit einen neuen Aufschwung.

1.2. Forschungsreisende und erste archäologische Forschungen

Im (18./) 19. Jahrhundert erhielt die Beschäftigung mit dem Heiligen Land eine neue Basis. Auf der Suche nach umfassender Bildung bereisten Forscher unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen Palästina. Carsten Niebuhr ist in diesem Zusammenhang als erster zu erwähnen. Er suchte 1761-1767 während seiner Arabienreise auch Palästina auf [2]. Ihm folgten Ulrich Jasper Seetzen (bis 1810) und Johann Ludwig Burckhardt (bis 1817), die unter Einsatz ihres Lebens als Muslime den Vorderen Orient durchstreiften (U.J. Seetzens letzte briefliche Nachricht stammt vom November 1810 aus dem Jemen; J.L. Burckhardt starb 1817 in Kairo).

Nach ihnen kam der eigentliche Begründer der historischen Topographie Palästinas, Edward Robinson, (1838 und 1852) nach Palästina. Seine Arbeiten und die Veröffentlichungen der Forschungsreisen Titus Toblers (mehrmals ab 1853), Victor Honoré Guérins (ab 1863) sowie vieler anderer lenkten schließlich die Aufmerksamkeit des Abendlandes auf die Altertümer der südlichen Levante, von deren Vielfalt man bis dahin in Europa und Nordamerika nur wenig wusste. Der wissenschaftliche Eifer und die Solidität der Beobachtungen dieser Gelehrten waren so überwältigend, dass ihre Tagebücher bis heute zu Recht als wichtige Quellen der Orientwissenschaft gelten.

Die Forschungen in Palästina sind eng mit den weitgehend parallelen Entwicklungen im Orient, besonders in Ägypten und Mesopotamien, verknüpft. Auch dort waren Bildungsreisen die Wegbereiter kunstgeschichtlicher und landeskundlicher Untersuchungen sowie erster Ausgrabungen.

Ägypten
Das Land am Nil faszinierte das Abendland schon seit der Renaissance. Viele der dieses Gebiet bereisenden Forscher waren auf dem Weg ins Heilige Land. Unter ihnen ist der Jesuit Claude Sicard (1677-1727) hervorzuheben. Er drang als erster nicht nur bis nach Assuan vor und entdeckte auf dem Weg dahin das berühmte Theben wieder, er konnte sich auch rühmen, 24 Tempel und über 50 mit Malereien und Reliefs geschmückte Felsengräber gesehen zu haben.

Seine Nachfolger, Frederik L. Norden (1708-1742) aus Dänemark und die beiden Engländer Richard Pococke (1704-1765) und James Bruce (1730-1794), haben uns, anders als Sicard, umfangreiche Reiseberichte hinterlassen. Der Jesuit Athanasius Kircher (Lingua aegyptica restituta; 1643) und nach ihm Paul Ernst Jablonski (1693-1757) und Georg Zoega (Ende 18. Jh.) sammelten dann enzyklopädisch alles, was man damals über Ägypten wissen konnte.

Doch erst mit dem für die Ägyptologie denkwürdigen Feldzug Napoleon Bonapartes im Jahr 1798 (im Jahr darauf stieß er nach Palästina vor) konnte die Erforschung der ägyptischen Altertümer auf eine neue Basis gestellt werden. Es war zweifellos eine Sternstunde für die Altertumswissenschaft, als Napoleon entschied, bei seinem militärischen Abenteuer auch 167 Wissenschaftler mitzunehmen - unter ihnen Orientalisten und Altertumsforscher, Naturkundler, Astronomen und Mathematiker, Zeichner und Kartographen sowie Techniker und Ingenieure.

Die Erforschung der Hieroglyphenschrift (Jean François Champollion, 1790-1832) war erst durch den Fund des dreisprachigen Steins von Rosette (hieroglyphisch / demotisch / griechisch) während des napoleonischen Feldzuges (1799) möglich geworden. Champollion selbst brachte durch eine gemeinsam mit dem Italiener Ippolito Rosselini unternommene Expedition (1828-1829) eine neue Reisewelle in Gang. Sie war primär darauf aus, neues Schriftmaterial zu sammeln und zu veröffentlichen. Eine preußische Mission unter Leitung von Karl Richard Lepsius (1810-1884) konnte von 1849 bis 1859 schließlich zwölf Bände der "Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien" herausgeben, was andere Expeditionen gleichermaßen nachahmten.

Die von den Schriftfunden faszinierte und allerorts mit der Sammlung von Antiken für heimische Museen und Sammlungen beschäftigte Wissenschaft fand allerdings erst 1850 mit dem Franzosen Auguste Mariette (1821-1881) einen Forscher, der sich größeren systematischen Ausgrabungen verschrieb. Besonderen Ruhm erwarb er sich dadurch, dass er die Gründung des weltberühmten Kairoer Antikenmuseums initiierte. Sir Flinders William Matthew Petrie (1853-1942) führte dann 1884 die wissenschaftliche Ausgrabungstechnik in Ägypten ein.

Mesopotamien
Im Zweistromland und den umliegenden Gebieten verlief die wissenschaftliche Erforschung zunächst etwas langsamer als in Ägypten. Zwar gelangten bereits im 17. Jahrhundert Nachrichten von den eindrucksvollen steinernen Ruinen dieses Gebietes nach Europa, doch erst Carsten Niebuhr (s.o.) studierte 1765 die Ruinen von Persepolis eingehend. Er hatte zugleich bereits Kenntnis von den Städten Babylon und Ninive.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erkannte Abbé Joseph de Beauchamp (1752-1801) die Bedeutung der babylonischen Keilschriftfunde und organisierte daraufhin erste Ausgrabungen im Zweistromland mit dem Ziel, weitere Schriftträger zu entdecken. Doch es dauerte noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, dass Claudius James Rich (1787-1820) die antiken Städte Babylon und Ninive topographisch vermaß und zahlreiche Inschriften und Kleinfunde (z.B. Rollsiegel) sammelte. Damit weckte er in Europa das Interesse an der altorientalischen Forschung und gab auch den Anstoß für die folgenden archäologischen Unternehmungen.

Die erste größere Ausgrabung in Mesopotamien unternahm Paul Emile Botta (1802-1870) in Ninive (ohne dabei zu bemerken, dass er sich an dem von ihm gesuchten Ort befand); bald darauf führte er eine weitere Grabung in Khorsabad durch. Wenig später grub Austen Henry Layard (1817-1896) in Nimrud, um dann schließlich doch Ninive zu finden. All diese Unternehmungen ebneten künftigen Forschungen den Weg.

1.3. Erste Forschungen in Palästina

Das Interesse an Forschungen im Heiligen Land war im Abendland eng mit der wissenschaftlichen Erkundung des Alten Orients verbunden. Im Unterschied zu Ägyptologie und Akkadistik waren das Althebräische und auch die arabische Umgangssprache der Fachwelt freilich seit langer Zeit bekannt. Daher ergaben sich für die Palästinawissenschaft zunächst vorrangig eigene Schwerpunkte wie die systematische Dokumentation der Topographie des Landes samt seinen an der Oberfläche sichtbaren Altertümern.

Der erste Versuch, das Heilige Land zu kartographieren, wurde bereits während der Invasion Napoleons unternommen. Allerdings konnten nur diejenigen Gebiete zuverlässig vermessen werden, die die französische Armee erobert hatte und in denen die Vermesser sich frei bewegen konnten.

Einen zweiten Versuch unternahm 1856 der holländische Leutnant Charles William Meredith van der Velde (1818-1898), welchem indes nur geringe Mittel zur Verfügung standen. Da die Arbeit de facto auf ihm allein lastete, blieb seine Karte nicht fehlerfrei, wenn sie auch bis zur Publikation der Palästinakarte des (1865 in London gegründeten) Palestine Exploration Fund im Jahr 1880 als Standard diente.

1.3.1. Die Anfänge der Ausgrabungstätigkeit

Die Anfänge der eigentlichen Ausgrabungstätigkeit liegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Von November 1865 bis April 1866 durchzog Charles William Wilson (1836-1905), der bereits ab Oktober 1864 viele der an der Oberfläche sichtbaren Altertümer der Stadt Jerusalem topographisch aufgenommen hatte, das Gebiet von Beirut bis Jerusalem. Er besuchte u.a. Ba'albek, Damaskus, Caesarea Philippi, Orte an der Westküste des Sees Genezareth, Nazaret sowie Teile des galiläischen Berglands, die Jesreelebene, Bet-Schean, Sichem und grub eine byzantinische Kirche auf dem Garizim bei Sichem aus. Der traurige Höhepunkt seiner Reise war ein Überfall der Bewohner auf das Lager Wilsons, die dort ausgegrabene Schätze vermuteten.

In Jerusalem konnte Wilson verschiedene Sondierungen (u.a. ganz in der Nähe der Westmauer des ehemaligen herodianischen Tempels) durchführen. Die Entdeckung der später nach ihm benannten herodianischen Bogenkonstruktion, die nach dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus (ca. 37-100) die Oberstadt mit dem Tempelbereich verband, trug ihm dauerhafte Ehren ein ("Wilson-Bogen"). Bereits 1838 hatte der amerikanische Alttestamentler E. Robinson (1794-1863; s.o.) den südlichsten Bogenansatz an der Westmauer des herodianischen Tempels entdeckt ("Robinson-Bogen").

C.W. Wilsons Erfolge ließen es dem Palestine Exploration Fund geraten sein, Leutnant Charles Warren (1840-1926) zu verpflichten, der die archäologische Arbeit seines Vorgängers in Jerusalem ausbauen sollte. Der Ingenieur versuchte mit Tunneln und Schächten durch jüngere Siedlungsschichten hindurchzustoßen, um insbesondere die Lage und Größe des salomonischen Tempels zu erforschen. Wenn er auch diese Aufgabe nicht erfüllen konnte, so geht doch auf ihn die bedeutende Erkenntnis zurück, dass die Davidstadt südlich der heutigen Altstadt zu finden ist. Außerdem erkundete Warren Teile der (von ihm fälschlich Salomo zugeschriebenen) herodianischen Stütz- und Umfassungsmauern des Tempels und fand die älteste der drei Wasseranlagen an der Gihon-Quelle (seitdem auch "Warren-Schacht" genannt).

1.3.2. Archäologische Institute

Sehr bald stellte sich heraus, dass eine systematische Erforschung Jerusalems besonders schwierig und speziell mit Tunnelgrabungen zu gefährlich und wenig ertragreich war. Der Palestine Exploration Fund beschloss daraufhin, die Grabungen in Jerusalem einzustellen und stattdessen seinen Schwerpunkt auf die systematische Erkundung des Heiligen Landes zu legen. Diese Erkenntnis setzte sich allgemein durch.

Zur Planung und Vorbereitung solch weitreichender Unternehmungen bedurfte es neuer organisatorischer und logistischer Voraussetzungen in Palästina (und in den angrenzenden Gebieten). Einige Nationen folgten dem Beispiel des Palestine Exploration Fund und richteten zu diesem Zweck eigene archäologische Institute und Vereinigungen ein. So entstanden u.a. 1870 die American Palestine Exploration Society, 1877 der Deutsche Verein zur Erforschung Palästinas, 1898 die Deutsche Orient-Gesellschaft, 1890 die École Biblique, 1900 die American School of Oriental Research, 1900 das Deutsche Evangelische Institut für Altertumskunde des Heiligen Landes, 1914 der Jewish Palestine Exploration Fund (seit 1948 Israel Exploration Society) und 1919 die British School of Archaeology (in Jerusalem, heute Kenyon Institute).

1.3.3. Die systematische Erforschung palästinischer Altertümer

Die nun beginnende systematische Aufnahme der Altertümer Palästinas ist besonders mit Namen wie Claude Reignier Conder (1844-1910) und Horatio Herbert Kitchener (1850-1916), Alois Musil (1868-1944) sowie Nelson Glueck (1900-1971) verbunden. Sie erstreckte sich auch auf die Sinaihalbinsel und schloss die Suche nach dem Mosesberg mit ein.

Der bereits erwähnte englische Ausgräber F.W.M. Petrie kam 1890 nach Palästina. Er führte hier die stratigraphische Ausgrabungsmethode ein, die in den beiden Jahrzehnten zuvor in Troja und Mykene von Heinrich Schliemann (1822-1890) und dem aus Wuppertal-Barmen stammenden Wilhelm Dörpfeld (1853-1940) begründet worden war. Demnach handelte es sich bei einigen scheinbar natürlichen Erhebungen im Nahen Osten tatsächlich um in ihrer Schichtenfolge unterteilbare Kulturschutthügel (arab. tell = Hügel). Petrie grub auf dem ca. 20 m hohen Tell el-Hesi zwischen Gaza und Bethlehem (für Petri irrtümlich das biblische Lachisch, das aber mit dem Tell ed-Duwer zu identifizieren ist). Hier konnte er, wie schon 1884 in Ägypten, den Zusammenhang zwischen der Chronologie eines Ortes und der dort gefundenen Keramikabfolge belegen. Aus seiner sechswöchigen Grabung erstellte er die erste chronologisch orientierte Keramiktypologie Palästinas.

Der US-Amerikaner Frederick Jones Bliss (1859-1937) setzte in den Jahren 1891 und 1892 die Arbeiten auf dem Tell el-Hesi fort. Er grub zum ersten Mal innerhalb von abgesteckten Grabungsquadranten. Ab 1894 arbeitete er in Kooperation mit dem Architekten Archibald Dickie in Jerusalem, wo sie u.a. Teile einer zweiphasigen Stadtmauer auf dem Südost- und Südwest-Hügel freilegten.

1.3.4. Wichtige Ausgrabungen

Nur wenige weitere Grabungsunternehmungen können hier gewürdigt werden. Bedeutend wurden u.a. die Entdeckung der ersten Philistersiedlung und der dazugehörigen Keramik auf dem Tell es-Safi (möglicherweise dem biblischen Gat) zwischen 1898-1900 durch F.J. Bliss und Robert Alexander Stewart Macalister (1870-1950), die Ausgrabung Gesers (Tell Gezer) 1902-1905 und 1907-1909 durch letzteren und die Bet Schemeschs (Khirbet er-Rumele bei Ain Shems) 1911 durch Duncan Mackenzie (1859-1935).

Erste deutsche Grabungen folgten in den Jahren 1901 bis 1903 in Taanach (Tell Ta'anek) durch Ernst Sellin (1876-1946), 1903 bis 1905 in Megiddo (Tell el-Mutesellim) durch Gottlieb Schumacher (1857-1925) und Carl Watzinger (1877-1949) sowie 1905 auf dem Tell el-Hum (Synagoge von Kapernaum) durch Heinrich Kohl (1877-1914) und C. Watzinger. Die daraufhin in der Zeit von 1907 bis 1909 im alttestamentlichen Jericho (Tell es-Sultan) von E. Sellin und C. Watzinger durchgeführten Untersuchungen führten (durch chronologische Fehldeutungen der korrekt erkannten Schichtenfolge) zu einem der folgenschwersten Irrtümer der Biblischen Archäologie, dem angeblichen Auffinden der Mauern von Jericho aus Josua 6.

Der endgültige Durchbruch zur rein stratigraphischen Ausgrabungsmethode gelang jedoch - nach den bedeutenden Vorarbeiten der US-Amerikaner George Andrew Reisner (1867-1942) und Clarence Stanley Fisher (1876-1941) in Samaria - erst William Foxwell Albright (1891-1970) auf dem ca. 30 km nordnordöstlich von Beerseba gelegenen Tell Bet Mirsim und Kathleen Mary Kenyon (1906-1978) in Jericho (Tell es-Sultan).

Diese Aufzählung kann nicht abgeschlossen werden, ohne auf den bei der Samaria-Grabung John Winter Crowfoots (1873-1959) in den Jahren von 1931 bis 1935 neben K.M. Kenyon assistierenden Eliezer Lipa Sukenik (1883-1953) hingewiesen zu haben. Er erkannte als erster Forscher die Authentizität der berühmten Schriftrollen vom Toten Meer. In seinem Gefolge und im Zuge der Forschungen seines Sohnes Yigael Yadin (1917-1984; er arbeitete u.a. 1955 in Hazor [Tell el-Qedah] sowie von 1963 bis 1965 in Masada [es-Sebbe]) und weiterer großer Archäologen wie Yohanan Aharoni, Nahman Avigad, Benjamin Mazar, Pesach Bar-Adon, Avraham Eitan sowie Trude Dothan und Ruth Amiran konnte die israelische Archäologie ab 1948 mehr und mehr, besonders aber nach 1967, die Ausgrabungen im Bereich westlich des Jordan übernehmen und gestalten.

Die Archäologie in Jordanien brauchte etwas länger, um die Aufmerksamkeit der internationalen Forschungsgemeinschaft zu erringen. Awni Dajani (1917-1968), ein Schüler von K.M. Kenyon, übernahm 1958 als erster Einheimischer das Amt des Director-General beim "Department of Antiquities of Jordan". Die Erforschung der transjordanischen Altertümer lag nun in arabischer Verantwortung. In der Folge entwickelte die Altertumsbehörde des Landes in enger Kooperation mit den im Lande präsenten ausländischen Missionen eine solide wissenschaftliche Basis, die sich beachtlich weiterentwickelte und bedeutende Wissenschaftler wie Adnan Hadidi, Khair Yassine, Moawiyah Ibrahim, Zeidan Kafafi, Fawzy Zayadine und Mujahid al-Muheisen hervorbrachte.

2. Gegenwärtige Herausforderungen der Biblischen Archäologie

Die Erwartungen, die an die archäologische Arbeit in Palästina herangetragen werden, sind weit gespannt. Sie reichen von der Hoffnung auf die Bestätigung biblischer Traditionen über eine methodisch ausgereifte Vermittlung von archäologischen und exegetischen Erkenntnissen bis hin zum bewussten Verzicht auf exegetische Erkenntnisse bei der Interpretation archäologischer Befunde.

Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Zielstellung, die Aufgaben und Methoden der Archäologie in Palästina nachzuzeichnen. Ihre Wurzeln liegen bei den Fragen der Bibelwissenschaft, deren Ziel letztlich die Interpretation alt- und neutestamentlicher Überlieferungen ist.

Die archäologische Forschung in der südlichen Levante hat sich im Laufe ihrer eigenen Entwicklung vom Vorrang exegetischer Fragestellungen und Denkweisen befreit und ist - wie die parallelen Wissenschaftsbereiche in den Nachbarregionen (z.B. in der griechischen Welt, im Zweistromland und in Ägypten) - zu einem selbständigen und unabhängigen Wissenschaftszweig geworden. Dabei hat sie sich auch von der dominierenden Fragestellung nach der Vermittlung zwischen den Ausgrabungsbefunden einerseits und der Auswertung schriftlicher Quellen andererseits gelöst. Sie wird heute zu Recht als Teil eines großen Netzwerkes vielfältiger, gleichberechtigt an der Altertumsforschung Palästinas partizipierender Wissenschaftszweige verstanden. Diese Veränderung hat sich nicht zuletzt durch das Erstarken der sog. New Archaeology mit großem Tempo vollzogen.

Die sog. New Archaeology ist eine Bewegung, die in den 60er und 70er Jahren im angelsächsischen Raum ihren Ausgang nahm und (vielfach verkannt und angefeindet) der archäologischen Forschung neue Zielstellungen und Perspektiven zu vermitteln versuchte. Sie beabsichtigte besonders, über die deskriptive Beschreibung von faktischen Phänomenen und kulturellen Entwicklungsstufen hinaus eine "prozessuale" Archäologie zu entfalten und leitete damit den optimistischen Versuch ein, eine historisch-kulturelle Synthese auf der Grundlage von signifikanten, qualitativ ausgewählten Daten zu erstellen. Nach der Abkehr von manchen Übertreibungen sind die grundlegenden Fragestellungen und Ziele der sog. New Archaeology heute zum selbstverständlichen Repertoire archäologischer Fragestellungen geworden [3].

Angesichts solcher Veränderungen ist auch die traditionelle Bezeichnung Biblische Archäologie nicht unumstritten geblieben. Der Name Biblische Archäologie entstand letztlich aus der Auffassung des 19. Jahrhunderts, die von der heranwachsenden Wissenschaft die Darstellung und Erklärung der Verhältnisse und Realien des biblischen Textes erwartete. Natürlich könnte man von einer "Archäologie Palästinas" [4] sprechen und damit klarstellen, dass der gesamte Raum Palästina und alle seine kulturellen Epochen (von der Stein- bis zur Neuzeit) im Blickpunkt dieser Wissenschaft stehen. Andererseits beschreibt der Name Biblische Archäologie die Herkunft und ein einmaliges Proprium dieser speziellen archäologischen Forschung: die Beschäftigung mit dem Umfeld der biblischen Welt im weitesten Sinne. Daher ist es nicht zwingend, die eingeführte Bezeichnung abzuändern, wenn dabei klargestellt bleibt, dass die Biblische Archäologie räumlich, zeitlich und ethnisch über die in ihrem Namen im strengen Sinn verbundenen Bereiche hinausgeht und sich konsequent den modernen methodischen Herausforderungen der Vorderasiatischen Archäologie stellt.

2.1. Veränderungen im Bereich der Biblischen Archäologie

Die sich gegenwärtig vollziehenden Veränderungen innerhalb der Biblischen Archäologie und die Herausforderungen, vor denen sie steht, lassen sich im Wesentlichen so zusammenfassen [5]:

2.2. Soziale, ökonomische und politische Voraussetzungen

Neben diesen vom Fortgang der archäologischen Forschung angestoßenen Veränderungen bringen soziale, ökonomische und politische Voraussetzungen im Nahen Osten auch neue Herausforderungen für die Arbeitsorganisation und den Stellenwert der Biblischen Archäologie mit sich.

- In den Staaten Israel und Jordanien ist heute eine archäologisch gut ausgebildete Forschergeneration vorhanden. Gleiches ist in einigen Jahren auch für den palästinensischen Staat zu erwarten. In Israel ist heute bereits eine so große Dichte an universitärer Forschung, technischer Möglichkeiten und gut ausgebildeter Fachkräfte erreicht, dass die archäologische Hauptarbeit inzwischen im Lande selbst geplant und durchgeführt wird.

- Die ausländischen Institute und Einrichtungen sind daher seit längerer Zeit nicht mehr allein die "tragenden Säulen" der archäologischen Forschung und des technischen "Know-how". Sie wachsen vielmehr in die Rolle von Partnern der nationalen Forschungseinrichtungen hinein.

- Ausländische Grabungsteams partizipieren mit ihren Unternehmungen mehr und mehr an den weiträumig geplanten interdisziplinären Aufgaben bei der Erforschung des palästinischen Altertums, wobei die Planung in den Händen der nationalen Autoritäten, des jeweiligen "Department of Antiquities", liegt.

- Die gezielte Entwicklung des Massentourismus als wichtige Quelle der Staatsfinanzen Israels und Jordaniens sowie anfänglich auch in der Region um Jericho lassen archäologische Stätten zu Touristenanziehungspunkten werden. Pädagogisch durchdachte Museumskonzepte reagieren seit längerer Zeit auf dieses Phänomen. Veränderungen müssen nunmehr auch in der Feldarbeit vor sich gehen, die sich am Grabungsort auch auf zu konservierende oder zu rekonstruierende Befunde und deren anschauliche Präsentation für (meist fachlich nicht vorgebildete) Besucher einstellen muss.

- Die Durchführung von Grabungsprojekten hat sich wesentlich verändert. Angesichts hoher Personalkosten in Israel werden dort vielfach Volontäre (z.B. zahlungskräftige Ausländer) bei archäologischen Unternehmungen eingesetzt. An einigen Orten (wie z.B. in Bet-Schean [Besan] und Caesarea Maritima) werden große Ausgrabungen im Rahmen von nationalen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen organisiert. In Jordanien und im autonomen Bereich Palästina wird die Arbeit an Ausgrabungsorten zum großen Teil durch Lohnarbeiter erledigt. All diese Organisationsformen von Ausgrabungen sind generell möglich. Grundsätzlich ist aber auf ausreichend ausgebildetes Fachpersonal und eine vollständige Dokumentation zu achten.

Diesen Überlegungen sind noch drei weitere Problemstellungen hinzuzufügen.

(1) Zum einen verlockt das Entdecken der eigenen Geschichte an vielen Stellen der Erde Ausgräber und staatliche Autoritäten zu national oder religiös inspirierten und damit zu missverständlichen Interpretationen. So ist beispielsweise eine chronologische Periodisierung wie "Israelite Period" für die klassische alttestamentliche Zeit im Rahmen einer auf Palästina bezogenen Biblischen Archäologie nicht sinnvoll, weil selbstverständlich auch andere Völkerschaften diese Periode im heutigen Palästina maßgeblich prägten. Grundsätzlich ist die Biblische Archäologie nicht national oder religiös geprägt.

(2) Außerdem ist die Schädigung des archäologischen Erbes durch Raubgrabungen an vielen Orten des Nahen Ostens, besonders in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen, von erheblicher negativer Bedeutung. Neben wirksamen Kontrollen bei der Ausreise und Anstrengungen zur Aufklärung der Bevölkerung über den Ausverkauf geschichtlicher Zeugnisse in den einzelnen Regionen ist innerhalb der entwickelten Länder der Handel mit Antiquitäten wesentlich wirksamer zu bekämpfen. Wenn in Auktionen und auf dem Schwarzmarkt dort riesige Summen für Altertümer mit dubioser Herkunft erzielt werden können, braucht man sich nicht über den Tatendrang und Erfindungsreichtum der Raubgräber zu wundern.

(3) Schließlich bringt es das z.T. starke Anwachsen der Bevölkerung in vielen Staaten des Nahen Ostens mit sich, dass Ortschaften schnell expandieren, zusätzlich neue Ackerflächen erschlossen oder (Olivenbaum-)Anpflanzungen angelegt werden. Diese Entwicklung kann bekannten wie unbekannten archäologischen Stätten gefährlich werden, sie unter Umständen auch zerstören. Aus diesem Grund kommt der Erkundung und dem Schutz archäologischer Ortslagen vorrangige Bedeutung zu.

Im Kontext der multidisziplinären Zusammenarbeit der Biblischen Archäologie ist im Folgenden nach ihrer besonderen Beziehung zur Exegese biblischer und außerbiblischer Texte zu fragen.

3. Biblische Archäologie und Exegese

Das Interesse an Palästina und der biblischen Zeit verbindet die exegetische Wissenschaft und die Biblische Archäologie. Methodisch sind aber sowohl die Exegese als auch die Biblische Archäologie ihren jeweils eigenen Grundlagen verpflichtet. Die Biblische Archäologie ist keine Hilfswissenschaft der Bibelauslegung. Nicht nur die Verschiedenheit ihrer Hauptquellen, sondern auch die ihres methodischen Instrumentariums machen den Wert und die Bedeutung ihrer jeweils eigenen Forschungen aus. Die übergeordneten Fragestellungen zwingen allerdings zur engen Kooperation bei der umfassenden Erforschung des palästinischen Altertums.

Archäologen/-innen sind auf die Exegese angewiesen, wenn sie Zeiten und Sachverhalte bearbeiten, die in der Literatur des Alten und Neuen Testaments behandelt werden oder mit diesen Epochen in Beziehung stehen. Sie bearbeiten darüber hinaus wie die Theologen/-innen Schriftfunde aus der Umwelt Palästinas nach dem in der Literaturwissenschaft geforderten Standard.

Je nach Standpunkt der Bearbeiter/-innen werden die biblischen Quellen in ihrem geschichtlichen Wert oftmals über- oder unterschätzt. So muss die Interpretation archäologischer Befunde auf der einen Seite letztlich unbefriedigend bleiben, wenn bei chronologisch relevanten Befunden auf die Auseinandersetzung mit der biblischen Überlieferung verzichtet wird. Sollte jedoch andererseits die archäologische Interpretation auf biblische Quellen unkritisch zurückgreifen, blieben Fragen nach Zeit und Ort der Entstehung einer Überlieferung oder eines Textes, nach möglichen Überarbeitungen und redaktionellen Eingriffen ohne Berücksichtigung. Auch dies würde unweigerlich zu Fehlinterpretationen führen. Daher ist ein methodisch kontrollierter, überprüfbarer Umgang mit diesen Quellen unerlässlich.

Die Exegeten/-innen ihrerseits werden jedenfalls auf Erkenntnisse der Biblischen Archäologie zurückgreifen, z.B. bei

- Erklärungen von Realien (Häuser, Tempel, Paläste, Arbeitsgeräte, Waffen, Maße, Gewichte u.a.) und deren Funktionen,
- Fragen nach der Ökonomie und Sozialstruktur, nach technologischen und künstlerischen Zeugnissen einzelner Gesellschaften und ihrer Gruppen,
- Zeugnissen aus dem religiösen und kultischen Umfeld sowie
- bei der Erkundung der Siedlungsgeschichte biblisch genannter Orte und Gegenden.

Damit bekommt die Exegese einen Zugang zur "alltäglichen Geschichte", zum "Alltag", in dem die Schreiber biblischer Texte lebten und auch ihre Adressaten fanden. Nicht nur die herausgehobenen Ereignisse wie Kriegszüge, Herrscherfolgen und die Geschicke der Königshäuser, sondern auch das kulturelle Umfeld (von der Ökonomie und der sozialen Situation bis hin zur tagtäglichen Nahrungsbeschaffung der Familien) wird auf diese Weise greifbar.

Das Grundproblem exegetischer und archäologischer Arbeit ist die Vermittlung der Forschungsergebnisse zwischen beiden Bereichen. Angesichts der vielfältigen und spezialisierten Forschungen und eines im Laufe der Zeit fast unüberschaubar gewordenen Angebots an wissenschaftlicher Literatur gab es in der Vergangenheit immer dann Spannungen, wenn eine Wissenschaft sachspezifische Aussagen der anderen benutzte, ohne deren methodischen Grundsätze ausreichend wahrzunehmen. Von daher wäre die Verwirklichung einer Wissenschafts-Kooperation die Aufgabe künftiger Forschergenerationen.

3.1. Die Bedeutung der Biblischen Archäologie für die Exegese

Die Biblische Archäologie hat nicht die Aufgabe, alt- oder neutestamentliche Texte durch Ausgrabungen zu beweisen. Sicher hat man das im 19. Jahrhundert anders gesehen. Die ursprüngliche Zielstellung der "American Palestine Exploration Society" lautete bei ihrer Gründung 1870: "...whatever goes to verify the Bible history as real, in time, place and circumstances, is a refutation of unbelief". Und selbst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Devise "Forscher beweisen die historische Wahrheit" noch immer sehr populär. Der theologische Gehalt der biblischen Überlieferungen ist mit den Methoden der Archäologie indes weder zu untermauern noch gar zu widerlegen. "Die archäologische Wahrheit über die Bibel" kann demzufolge ebenso wenig pauschal erhoben werden [6].

3.2. Biblische Texte und archäologische Befunde

Selbstverständlich können sich neben Übereinstimmungen immer wieder auch Differenzen zwischen den Aussagen der biblischen Texte und den Schlussfolgerungen aus archäologischen Befunden ergeben. Dann muss der Austausch beider Disziplinen eine Klärung herbeiführen. In diesem Zusammenhang mag das inzwischen "klassische" Beispiel von der israelitischen Eroberung der Palmenstadt Jericho im 6. Kapitel des Josuabuches dazu dienen, das Problem zu verdeutlichen.

Die Mauern von Jericho
Die archäologische Suche nach den berühmten Mauern Jerichos begann mit C. Warren im Jahr 1868, F.J. Bliss führte die Erkundungen 1894 fort. Entscheidende Erkenntnisse über die Besiedlung Jerichos wurden jedoch erst durch E. Sellin und C. Watzinger gewonnen. Sie führten von 1907 bis 1909 großflächige Ausgrabungen durch, deren technische Abwicklung und Publikation über jeglichen Zweifel erhaben sind. Doch stand die chronologische Deutung - wie Watzinger später selbst schreibt - "unter dem Eindruck der biblischen Tradition, in der sich zwei Hauptepochen der Stadtgeschichte herauszuheben schienen, die Zerstörung der kanaanäischen Festung durch Josua und die Neugründung durch Hiel unter Ahab" [7]. In diesem Sinn datierten Sellin und Watzinger zwei, den Tell (an drei Seiten) umlaufende Stadtmauern: Die Zerstörung der äußeren, geböschten Mauer setzten sie um 1500 v. Chr. an und wiesen sie der Zerstörung durch Josua zu. Die Gründung der zweiten, der inneren (angeblichen!) Doppelmauer aus luftgetrockneten Ziegeln datierten sie ins 9. Jahrhundert v. Chr. und ordneten sie damit der Regierung des Königs Ahab zu. Sie sahen darin die Bestätigung für die in dieser Zeit beschriebene Stadtgründung Hiels aus Bet-El.

Obwohl Watzinger diese chronologischen Zuordnungen aus stratigrafischen Gründen bald revidierte (äußere Mauer um 1600 v. Chr. zerstört; "Doppelmauer" aus dem 3. Jahrtausend v. Chr.), führte der 1930-1936 auf dem Tell es-Sultan arbeitende John Garstang die an der Auslegung der Bibel orientierte chronologische Einordnung fort. Er verwies beide bereits bekannten Mauern in die mittlere, eine weitere, von ihm neu entdeckte in die frühe Bronzezeit. Schließlich glaubte er noch eine spätbronzezeitliche Mauer aus der Eroberungszeit Josuas zu erkennen und vermutete eine weitere eisenzeitliche Befestigungsanlage, die mit der Erzählung über Hiel aus der Zeit des Ahab in Verbindung zu bringen sei. Die bibelorientierte Interpretation blieb gewahrt.

Erst mit K.M. Kenyons Arbeit in Jericho von 1952 bis 1958 stürzte dieses Gedankengebäude jäh in sich zusammen. Es gab auf dem Tell tatsächlich keinen Anhaltspunkt dafür, dass die spärliche spätbronzezeitliche Besiedlung (Grabungsfeld H III) aus mehr als aus ein paar Gehöften bestanden und länger als bis ins 14. Jahrhundert v. Chr. gedauert hätte. Die Einwanderung der Israeliten wird aber übereinstimmend später, im 12./11. Jahrhundert v. Chr., angesetzt. Am Beginn dieser Epoche war weder eine große Stadt noch eine Ummauerung zu erkennen, die Josua mit seiner in Jos 6 beschriebenen Eroberung zerstört haben könnte. Alle auf dem Tell erkennbaren Mauerzüge sind deutlich früher als die sog. Landnahmezeit Israels zu datieren.

Wenn am Beginn der Einwanderung israelitischer Stämme ins westjordanische Gebiet von einer Eroberung der ummauerten Stadt Jericho berichtet wird (Jos 6), am gleichen Ort aber keinerlei spätbronzezeitlichen Stadtmauern, sondern an der Ostseite des Tells nur einige wenige Häuser aufzufinden waren, dann verlangt diese Diskrepanz eine Erklärung. W.F. Albright und zunächst auch K.M. Kenyon meinten, die spätbronzezeitlichen Stadtmauern seien wahrscheinlich durch Wasser und Wind erodiert. Eine solche Interpretation ist an einzelnen Mauerabschnitten unter Umständen möglich. Über den gesamten Tell hingegen und bezogen auf eine ganze spätbronzezeitliche Stadt ist sie gerade in dieser regenarmen Gegend nicht überzeugend. Denn zumindest die Reste der üblichen Steinfundamente solcher Ziegelmauern wären doch im Ausgrabungsbefund zu erwarten gewesen.

Warum wird aber dann im Alten Testament der Text von Jos 6 erzählt? - Jos 6 ist in der Exegese vielfach bearbeitet worden. Martin Noth sah in diesem Text eine ätiologische Sage, mit der die Trümmer auf dem unbesiedelten Tell es-Sultan in israelitischer Zeit erklärt wurden [8]. Die Zerstörung sei - so bekannten die Israeliten - das Ergebnis ihrer machtvollen Einwanderung unter Josua.

Die heutige Form der Erzählung in Jos 6 trägt kultische Züge, wie die stark deuteronomistisch gefärbte Darstellung der Prozession mit der Lade um die Stadt zeigt. Dieser Bericht von einer siebentägigen Prozession hatte in den Augen der sie in wesentlichen Zügen formenden deuteronomistischen Autoren nicht das Ziel, (im heutigen Sinn) Historisches über die Landnahme Israels auszusagen. Vielmehr predigten die Verfasser anhand des heilsgeschichtlichen Ereignisses, das aus rein topografischen Gründen Jericho einschließen musste (die Moseschar zog schließlich vom ostjordanischen Berg Nebo ins Heilige Land), die Güte und Landgabe Gottes, die für ein dem Gesetz Jahwes gehorsames Volk auch in ihrer Gegenwart erlebbar sei. Der rein historische Befund der Archäologie bleibt von dieser Aussage unberührt.

Wie man an diesem Beispiel sieht, war für die exegetische Interpretation von Jos 6 der archäologische Befund eine wichtige Herausforderung.

Die Siloah-Inschrift
Für ein ganz anderes Zusammenspiel zwischen biblischer Überlieferung und archäologischem Befund ist die Siloah-Inschrift heranzuziehen. Ihr Text und der zugehörige Tunnel in Jerusalem bestätigen den auch in 2 Kön 20,20 erwähnten Tunnelbau des Königs Hiskia zur Wasserversorgung der Stadt Jerusalem. Der König unternahm diese enorme Anstrengung als Verteidigungsmaßnahme angesichts der assyrischen Bedrohung durch Sanherib gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. Dessen Vorrücken gegen Jerusalem ist ebenso aus assyrischen Quellen bekannt [9].

3.3. Die Erweiterung des Blickwinkels

Die Herausforderungen an die exegetische Wissenschaft können sich aber auch grundsätzlicher auswirken. Die Exegese hat sich daran gewöhnt, dass das biblische Volk stets im Mittelpunkt der Weltgeschichte steht. Die Menge der schriftlichen Quellen, die Beredsamkeit der Schreiber und die Weltsicht der alttestamentlichen Texte haben ganz selbstverständlich ein Israel- bzw. Jerusalem-zentriertes Bild des Vorderen Orients entstehen lassen. Das ist aus der Sicht der Schreiber des Alten Testaments selbstverständlich korrekt, kannten und antworteten sie doch auf die in ihrer näheren und weiteren Umwelt geäußerten Meinungen und Ansichten, wie sie z.B. abweichend von der in Jerusalem erzählten Version der Ereignisse in 2 Kön 1,1 und 3,4-27 in der Inschrift der (heute im Louvre befindlichen) Stele des Königs Mescha von Moab, der sog. "Mescha-Inschrift", behauptet wurden.

Die Exegese muss insofern auch die Quellen aus dem Umfeld der Schreiber des Alten Testaments in ihre Betrachtungen mit einbeziehen. Mehr noch: Der Blickwinkel muss sich weiten. Der/die Exeget/-in darf nicht bei der Weltsicht stehen bleiben, die mit dem damaligen Blick eines Schreibers aus Jerusalem auf die große und weite altorientalische Welt geschrieben wurde. Der Blick des/der Exegeten/-in muss in gleicher Weise vielmehr auch umgekehrt, vom altorientalischen Standpunkt aus, auf die Stadt Jerusalem, den Schreiber des Textes und seine Vorstellungswelt gelenkt werden, weil Ereignisse und Beurteilungen so in einem anderen Licht erscheinen.

Die Zerstörung Jerusalems 587/6 v. Chr.
Das Jahr 587/6 v. Chr. steht in der alttestamentlichen Geschichte für das Jahr der Eroberung und Zerstörung Jerusalems. In der Theologie des Alten Testaments ist es Synonym für den Zusammenbruch bisher bestätigt geglaubter Heilstraditionen. Das Buch Threni (Klagelieder) schilderte dies anschaulich, und die Propheten Jeremia und Ezechiel predigten es ihren Zeitgenossen: Die Eroberung Jerusalems markierte das Ende der bisherigen Heilsgeschichte, symbolisiert durch die Zerstörung des Jahwe-Tempels, das Ende des davidischen Königtums und den Verlust des Landes. Aus der Sicht des Alten Testaments, d.h. aus der Sicht der an Jerusalem gebundenen Schreiber, war 587/6 v. Chr. das Ende der heilvollen Zuwendung Jahwes zu seinem Volk Juda besiegelt.

Man hat sich unter dem Eindruck der starken alttestamentlichen Betonung dieses Ereignisses daran gewöhnt, das Jahr 587/6 v. Chr. auch als Ende der eisenzeitlichen Kulturperiode in Palästina anzusehen (Ende der Eisen-II-Zeit). Eine solche Datierung ist beliebt, ja geradezu üblich geworden. Sie kann aber als Begrenzung einer archäologischen Kulturepoche für Palästina nicht überzeugen.

Wie anfechtbar eine solche Periodisierung für Palästina ist, hat eindrücklich Gabriel Barkay [10] herausgestellt. Er fragte auf der Basis historischer und archäologischer Daten, ob das Jahr 587/6 v. Chr., mit dem die theologische Überlieferung den Abbruch aller überkommenen Tradition verbindet, als Endpunkt der Eisenzeit II im palästinischen Bereich gelten könne. Die archäologische Forschung lasse nach seiner Überzeugung nicht den Schluss zu, dass das Jahr 587/6 v. Chr. außerhalb der Stadt Jerusalem einen wichtigen Zusammen- oder Umbruch darstelle. Die Gebiete Samaria und Galiläa sowie die Städte unmittelbar nördlich von Jerusalem blieben unbetroffen.

Kontinuierlich zog sich die materielle Kultur Ammons und Moabs weiter bis zur persischen Zeit. Die nördliche Küstenebene um Akko war seit Jahrhunderten fest mit dem phönikischen Leben verbunden. In Philistäa fanden bereits um 609/605 v. Chr. die ägyptischen und assyrischen Zerstörungen statt. Die Zerstörungsschichten des Negev deuten ebenso auf ein früheres Datum.

Selbst das Leben in der und um die Stadt Jerusalem setzte sich nach der babylonischen Zerstörung ohne Umbruch der materiellen Kultur fort. Die durch die Babylonier hervorgerufenen Zerstörungsschichten Jerusalems (Stratum X), Lachischs (Stratum II) und weniger anderer Orte können daher über den notwendigen Schluss nicht hinwegtäuschen, dass für Palästina (trotz des Einflusses der auf Jerusalem konzentrierten Geschichtsschreibung) ein Ende der Eisenzeit erst mit der Etablierung der persischen Herrschaft (Darius I.) um 520 v. Chr. angenommen werden dürfe (neue Keramikformen treten auf, neue Verwaltungsstrukturen werden geschaffen u.a.m.).

Auf Grund der archäologischen Erkenntnisse müssen die durch die alttestamentliche Überlieferung auf Jerusalem und dessen unmittelbares Umland fokussierten Nachrichten in den weiteren Kontext der palästinischen Kulturgeschichte gestellt und in diesem Rahmen neu bewertet werden. Daher kann kein Zweifel darüber bestehen, dass für Gesamtpalästina die Epoche der Eisen-II-Zeit bis zur Etablierung persischer Herrschaftsformen um 520 v. Chr. reichte. Die theologische Bewertung des Alten Testaments hingegen wird mit gleichem Recht den entscheidenden Umbruch der Glaubensgeschichte des Gottesvolkes mit dem Jahr 587/6 v. Chr. bestimmen müssen. Dies jedoch ist kein gesamtpalästinischer Vorgang.

3.4. Die Erweiterung der Quellenbasis

Die Israeliten lebten - wie ihre Zeitgenossen - in einer Kultur, die sich über mehrere Jahrtausende herausgebildet hatte. Es sollte daher in der Exegese unstrittig sein, dass die genaue Kenntnis der Umwelt des Alten Testaments den Blick für die Eigenheiten des Volkes Israel, für seine spezielle Glaubensgeschichte und natürlich auch für seine Einbindung in die altorientalische Umwelt schärfen kann. Dabei sind die außerbiblischen Quellen den gleichen quellenkritischen Fragen zu unterziehen wie die biblischen (z.B. im Hinblick auf die Echtheit, das Alter, die Herkunft, die Gattung).

Das Verhältnis der Exegese wie der Altertumsforschung zu schriftlosen Quellen war traditionell reserviert, da man Texte in ihrer Aussagemöglichkeit überschätzte. Dies erklärt sich u.a. dadurch, dass die entstehende archäologische Forschung im 19. und 20. Jahrhundert bereits auf eine in vielen Bereichen gut ausgebildete philologische Forschung und auf vorzüglich erschlossene Quellen traf: in der griechischen Geschichtsschreibung auf das Werk Homers, in der palästinischen auf die biblischen Bücher sowie im Zweistromland und in Ägypten auf die vielfältigen, meist keilschriftlichen oder hieroglyphischen Schriftträger. Heute wird zu Recht anerkannt, dass die Biblische Archäologie im hier beschriebenen Sinn ein notwendiger Partner der exegetischen Wissenschaft ist.

4. Fazit

Archäologie ist nach der griechischen Wortbedeutung die Lehre von den Anfangsgründen, vom Urbeginn. Die Biblische Archäologie ist in diesem Sinn Teil der Vorderasiatischen Archäologie und ganz deren Methoden und Standards verpflichtet. Sie verknüpft programmatisch die exegetische Forschung mit landeskundlichen Fragestellungen und der archäologischen Wissenschaft. Ihnen gemeinsam ist das besondere Interesse am palästinischen Raum. Die archäologische Arbeit im Heiligen Land erfordert daher eine doppelte wissenschaftliche Qualifikation: einerseits im Bereich der Archäologie, auf der anderen Seite in der Theologie. Nicht zuletzt deshalb waren es häufig Bibelwissenschaftler, die Ausgrabungen im Heiligen Land organisierten und durchführten.

Der Name Biblische Archäologie bezieht sich - geschichtlich gewachsen - auf die bekannteste und umfangreichste literarische Quellensammlung dieses Bereiches, das Alte und Neue Testament. Doch ist sie grundsätzlich nicht auf die biblische Epoche oder auf biblisch relevante Themen im Sinne einer zweckorientierten "Bibelarchäologie" beschränkt. Sie steht vielmehr für eine egalitäre, interdisziplinäre Zusammenarbeit aller beteiligten Wissenschaften auf der Basis der ihnen je eigenen Methoden und der Maßgabe der Unbegrenztheit ihrer Fragestellungen. Die thematische Konzentration auf Palästina bedingt gleichzeitig die unbegrenzte Weitsicht auf das vielgestaltige Umfeld des palästinischen Raums.

Fußnoten:

[1] Eine übersichtlich gegliederte, ausführliche Darstellung von Aufgaben, Methoden und Erkenntnissen der Biblischen Archäologie findet sich bei D. Vieweger, Archäologie der biblischen Welt, UTB 2394, Göttingen 2003.

[2] C. Niebuhr, Reisebeschreibungen nach Arabien und andern umliegenden Ländern, Bd. 1, Kopenhagen 1774; Bd. 2, Kopenhagen 1778. Der dritte Band wurde erst im Jahr 1837 postum von J.N. Gloyer und J. Olshausen herausgegeben. Eine (um etwa ein Drittel gekürzte) Ausgabe ist heute leicht zugänglich: Carsten Niebuhr. Reisebeschreibungen nach Arabien und andern umliegenden Ländern. Mit einem Vorwort von Stig Rasmussen und einem biographischen Porträt von Barthold Georg Niebuhr, 2. Aufl., Zürich 1993.

[3] Vgl. dazu D. Vieweger, Archäologie der biblischen Welt, [wie Anm. 1], 64-68.

[4] Vgl. zum Begriff z.B. W.F. Albright, Archäologie in Palästina, Einsiedeln 1962.

[5] Vgl. zum Folgenden speziell S. Gitin, Perspective on Israel. The Development of Archaeology in Israel, in: M.E. Lane (Hg.), The State of Archaeology. An American Perspective, Washington 1993, 43-46, sowie G. Lehmann, Rez. Biblical archaeology today, 1990, OLZ 90, 1995, 529f.

[6] Vergleiche dazu den unglücklichen Untertitel des Buches von I. Finkelstein/N.A. Silberman, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002.

[7] C. Watzinger, Zur Chronologie der Schichten von Jericho, ZDMG 80, 1926, [131-136], 132.

[8] M. Noth, Geschichte Israels, 4. Aufl., Göttingen 1959, 138 Anm. 2.

[9] Vgl. dazu R. Borger, Der dritte Feldzug Sanheribs, in: TUAT I/4, Gütersloh 1984, 388-391.

[10] G. Barkay, The Redefining of Archaeological Periods. Does the Date 588/586 B.C.E. Indeed Mark the End of the Iron Age Culture?, in: A. Biran/J. Aviram (ed.), Biblical Archaeology Today, 1990. Proceedings of the Second International Congress on Biblical Archaeology, Jerusalem, June - July 1990, Jerusalem 1993, 106-109.

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Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger, Wuppertal
E-Mail: vieweger@uni-wuppertal.de


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